Kamen bei RB Leipzig heftig unter die Räder: Die Spieler von Hertha BSC.
Kamen bei RB Leipzig heftig unter die Räder: Die Spieler von Hertha BSC. Imago

Irgendwie komme ich nicht raus aus dem Hin-und-hergerissen-Sein. Erst die Bundestagswahlen plus die Berlin-Wahl. Meterlange Wahlzettel und lange meine Unentschlossenheit, wem ich wo meine Stimme gebe. Für welche Inhalte die Parteien stehen, war oft unklar und dann natürlich die Frage, ob sie später ihre großspurigen Versprechen auch einhalten werden. Wohl eher nicht. Mein Vertrauen in die Politik hat arg gelitten.

Wie schaffe ich jetzt den Übergang zu Hertha BSC? Ganz einfach. Da die Hertha am Tag vor der Wahl sang- und klanglos mit Null zu Sechs bei RB Leipzig unterging und nicht die Spur einer Chance besaß, weiß ich auch nicht mehr, für welchen Fußball der Klub eigentlich steht. Für Konterfußball ohne Konter? Oder Angriffsfußball ohne Offensive? Oder für Mentalitätsfußball, wie von Sportchef Fredi Bobic angekündigt worden war? Ein Augenzeuge vom Leipzig-Spiel sagte mir, gefühlt habe er ein 0:8 oder gar 0:9 erlebt.

Leipzig wie ein ICE, Hertha wie ein RE2

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Dennoch: im Gegensatz zum Gros unserer führenden Politiker habe ich vollstes Vertrauen in Sportchef Fredi Bobic und Chefcoach Pal Dardai. Beide werden die Mannschaft auf Vordermann bringen.

Das Duell gegen Leipzig anzuschauen war kurz vor der Wahl für mich jedenfalls eine totale Qual. Ich habe danach die erste Kurzanalyse von Pal Dardai, den ich sehr schätze, nicht verstanden. Keiner seiner Spieler sei etwa spazieren gegangen (das hatte der Cheftrainer einst Matheus Cunha vorgeworfen) oder unkonzentriert gewesen, jeder habe seinen Job gemacht. „In dieser Partie ging es einfach einen Tick zu schnell für uns.“

Auf ein 0:6 folgte immer ein Hertha-Abstieg

Sorry, lieber Pal! Das Duell glich eher einem Vergleich zwischen einem ausnahmsweise pünktlichen ICE gegenüber dem Regionalzug zwischen Cottbus und Wismar (RE2). Die Leipziger waren mit dem Ball viel schneller als die Herthaner ohne Ball, sie waren wuchtiger, dynamischer, körperlich robuster, wacher und lauffreudiger. Aber: das war nur mein Eindruck aus der heimischen Sofa-Fernseher-Perspektive, die auch etwas täuschen kann…

Haben schwer zu schnaufen und nichts zu lachen: Herthas Verteidiger Niklas Stark (l.) und Marton Dardai. 
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Haben schwer zu schnaufen und nichts zu lachen: Herthas Verteidiger Niklas Stark (l.) und Marton Dardai. 

Das Fatale ist, dass es nach dem 0:5 vor Wochen beim FC Bayern nun schon die zweite deftige Pleite ist, die Hertha verkraften muss. Zweimal war das Team nicht wettbewerbsfähig.

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Kein Aufschwung trotz Windhorst-Millionen

Ein wenig Statistik soll hier als Warnung dienen: das jüngste 0:6 war die vierte Niederlage der Hertha in exakt dieser Höhe seit Bestehen der Bundesliga 1963. Im April 1980 unterlag Hertha zu Hause gegen den Hamburger SV mit 0:6, im Tor stand der arme Wolfgang Kleff. Im April 1991 gab es ein 0:6 bei Werder Bremen mit Walter Junghans als „ärmste S…“ im Tor und im März 2012 hatte Hertha im Olympiastadion unter Trainer Otto Rehhagel keine Chance gegen Bayern München (0:6). Thomas Kraft und in Halbzeit zwei Sascha Burchert musste je dreimal hinter sich greifen. In all diesen Spielzeiten stieg Hertha ab!

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Also wehret den Anfängen! Fakt ist, dass Lars Windhorst binnen zwei Jahren 374 Millionen Euro in den Verein investiert hat, aber der sportliche Abstand zur Ligaspitzengruppe ist statt kleiner tatsächlich größer geworden. Na klar, Fredi Bobic musste sparen und Transferüberschüsse erwirtschaften (hohe Corona-Verluste), er wartete bis zum letzten Moment, um günstige Profis zu bekommen. Doch schaut man etwa auf die Verletzungs-Historie von Kevin-Prince Boateng und Stevan Jovetic, beides großartige Fußballer, und auch von Myziane Maolida, bekomme ich Kopfschmerzen. Der unausgegorene Kader plus die ellenlange Verletztenliste bringen Dardai enorme Probleme.

Zum Schluss noch eine Petitesse: Am Tag der Bundestagswahlen am 27. September 2009 (CDU/CSU: 33,8 Prozent, SPD: 23,0, FDP: 14,6; Grüne: 10,7) spielte Hertha BSC bei der TSG Hoffenheim und unterlag mit 1:5, wobei Herthas aktueller Offensivtrainer Vedad Ibisevic drei Tore für die TSG schoss. Danach wurde Trainer Lucien Favre entlassen. Doch das ist ja Schnee von gestern.

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