Große KURIER-Serie: Die Väter des Hertha-Absturzes

Präsidium und Aufsichtsrat versagen als Frühwarnsystem bei Hertha BSC

Der KURIER hat eine Rangliste des Versagens bei den Blau-Weißen erstellt. Auf Platz 6: Herthas Aufsichtsrat und Präsidium.

Teilen
Präsident Werner Gegenbauer, Vizepräsident Thorsten Manske und Geschäftsführer Ingo Schiller (v.l.) sitzen bei einem Herthaspiel auf der Tribüne.
Präsident Werner Gegenbauer, Vizepräsident Thorsten Manske und Geschäftsführer Ingo Schiller (v.l.) sitzen bei einem Herthaspiel auf der Tribüne.imago/Contrast/Oliver Behrendt

Der Niedergang von Hertha BSC deutete sich über vier Jahre an und endete mit dem Abstieg in die Zweite Bundesliga. Er ist die Folge eines kollektiven Versagens. Dennoch gibt es Protagonisten des Absturzes und Ereignisse, die den tiefen Fall beschleunigten. Platz 6: Präsidium und Aufsichtsrat.

Die Szene hatte etwas Skurriles an sich. Um 2.50 Uhr in der Nacht (!) drängelten sich zwei Dutzend Fotografen um sieben Männer und eine Frau. Ein Gruppenbild war gefragt. Vor einem riesigen Hertha-Trikot im Internationalen Congress-Centrum (ICC) baute sich das neu gewählte Präsidium von Hertha BSC auf. In der längsten Mitgliederversammlung der Vereinsgeschichte, die deutlich über acht Stunden anhielt, hatten sich nach endlosen Diskussionen, Nachfragen und hitzigen Auseinandersetzungen acht von 14 Kandidaten durchgesetzt.

Das passierte Ende Mai 2012 und die Präsiden waren für vier Jahre gewählt worden. Das Beispiel zeigt, dass sich zahlreiche Herthaner alle vier Jahre für einen begehrten Platz im Präsidium bewerben, denn der verspricht Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen, bringt meist auch zusätzliche Reputation im Beruf und Anerkennung in der Stadt Berlin. Das ist bis zum heutigen Tag so geblieben, auch wenn die Mannschaft nun abgestiegen ist.

Lesen Sie auch: ARD und ZDF zeigen die Fußball-WM der Frauen >>

Herthas Gremien oft ohne sportliche Kompetenz

Die Arbeit im Präsidium ist ehrenamtlich. Das trifft auch auf den Aufsichtsrat des e.V. zu, der „die Wahrnehmung der Vereinsaufgaben durch das Präsidium kontrolliert“ – laut Satzung.

Dort heißt es unter anderem auch, dass die Kandidaten für das Präsidium möglichst Kompetenzen haben sollen in wirtschaftlichen Dingen, in der Personalführung, im sportlichen Bereich oder bei rechtlichen Fragen. So weit die Theorie.

Fakt ist, dass es in der Vergangenheit – auch in den zurückliegenden vier Jahren, in denen sich der Niedergang der Hertha vollzog – viel zu wenig sportliche und fußballspezifische Kompetenz in den beiden wichtigen Gremien gab.

All die gewählten Herthaner, das ist unbestritten, machen in ihren Berufen einen guten Job, sind gestandene und anerkannte Persönlichkeiten und wollen Hertha nach vorne bringen. Doch die Kernkompetenz, um das schwierige operative Geschäft und die Maßnahmen der Geschäftsleitung vor allem in sportlichen, aber auch komplizierten finanziellen Fragen zu werten und auch zu hinterfragen, war nicht immer vorhanden.

Die Fußball-Fachleute im Aufsichtsrat werden vom Hertha-Management zu wenig gehört

Es gab auch positive, wenn auch sehr wenige Beispiele. 2008 holte Präsident Werner Gegenbauer mit dem ehemaligen Hertha-Profi Dirk Greiser, Kapitän von 1989 bis 1991, einen externen Berater für sportliche Fragen ins Präsidium – auch ehrenamtlich. Rechtsanwalt Greiser brachte viele Jahre seine Kompetenzen ein. In den Gremien im Jahr 2023 findet man Unternehmer mit politischen Ambitionen, Juristen, Medienmanager oder auch Beamte.

Mit dem ehemaligen Hertha-Profi Andreas Schmidt, heute Finanzberater, ist ein Fußball-Fachmann im Aufsichtsrat vertreten. Dessen Vorsitzender Klaus Brüggemann kann auch auf sehr lange und äußerst vielseitige Erfahrungen im Sportmanagement verweisen. Doch wahrscheinlich ist der Aufsichtsrat nicht das geeignete Gremium, um genügend gehört zu werden. Die Erfahrungen der wenigen Fußball-Fachleute, so der Eindruck, konnten bei der sportlichen Leitung nie richtig eingebracht werden.

Kay Bernstein sorgte als Nachfolger von Werner Gegenbauer für Hoffnung auf Veränderung bei Hertha BSC.
Kay Bernstein sorgte als Nachfolger von Werner Gegenbauer für Hoffnung auf Veränderung bei Hertha BSC.dpa/Jean-Marc Wiesner

Für wichtige Geschäfte im Profibereich ist natürlich auch der Aufsichtsrat der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA zuständig, der nicht mit dem Aufsichtsrat des e.V. verwechselt werden darf. Im Aufsichtsrat der KG sitzen nun auch mit Steven W. Pasko und Josh Wander zwei Vertreter des neuen Investors 777 Partners aus den USA.

Kay Bernstein wird neuer Boss bei Hertha BSC

Als im Juni 2022 Kay Bernstein zum neuen Präsidenten gewählt wurde – Unternehmer Werner Gegenbauer war im Mai nach 14 Jahren im Amt zurückgetreten –, begann auch ein Kulturwandel im Verein. Das Hertha-Establishment verlor an Einfluss. Es offenbarten sich am Wahltag aber auch die unterschiedlichen Strömungen in den Gremien. Bernstein, vor sehr vielen Jahren Hertha-Ultra in der Kurve, heute erfolgreicher Event- und Kommunikationsmanager, hatte sich gegen den stadtbekannten CDU-Politiker Frank Steffel durchgesetzt.

Im Aufsichtsrat, der die Kandidaten für die Wahl des Präsidiums in den Wochen zuvor auf ihre Eignung prüft, gab es intern Stimmen pro Steffel. Auch zum neu gewählten Präsidium gehörten schließlich Persönlichkeiten, die sich Steffel gewünscht hätten. Das erschwerte seitdem auch die Arbeit der Gremien.

Bernstein sagte in seiner Antrittsrede unter anderem, dass Hertha einen „Burgfrieden“, eine „Entgiftung von innen“, einen „ehrlichen Neustart“ brauche. Seine erste Aufgabe: die Gremien „vereinen“ und auf eine gemeinsame Linie einschwören. Auch in Präsidium und Aufsichtsrat gab und gibt es Gerangel, geht es um Macht und Einfluss, auch wenn beides begrenzt erscheint.

Ingmar Piering rechnet mit Herthas Ex-Boss Gegenbauer ab

Als kurz vor der Mitgliederversammlung im Mai 2023 das langjährige Präsidiumsmitglied, Anwalt Ingmar Pering, der einst vorhatte, unter Steffel Vizepräsident zu werden, frustriert zurücktrat, gab er angesichts der finanziellen Krise eine Erklärung ab, die das Verhältnis der Gremien zur Klubführung ein wenig illustriert.

„In der zentralen Frage der Finanzen haben wir katastrophal versagt. Wir haben auf die Zusagen von Werner Gegenbauer (Präsident bis Mai 2022; Anm. d. Red.) und Ingo Schiller (Finanzchef bis Oktober 2022; Anm. d. Red.) vertraut, dass die Finanzierung noch ein Jahr sicher sei, als sie gegangen sind. Entweder haben wir in der Zwischenzeit unsere Aufgaben nicht richtig erfüllt oder wurden getäuscht.“

Präsidium und Aufsichtsrat sollten bei sich anbahnenden Krisen auch als eine Art Frühwarnsystem agieren. Das aber war offenbar zu schwach und zu leise. Die Kontrollinstanzen blendeten den drohenden Absturz viel zu lange aus.

Lesen Sie hier mehr über Hertha BSC >>