Hertha-Kolumne : Lars Windhorst wird künftig mehr Druck ausüben
Herthas Investor dürfte nach seiner dritten Finanzspritze häufiger in den Verein eingreifen - wenn auch nicht nach Gutsherrenart.

Ist folgendes Szenario denkbar? Herthas Großinvestor Lars Windhorst, 43, begibt sich in der kommenden Saison, wenn hoffentlich wieder vor Publikum gespielt wird, von der Ehrentribüne des Olympiastadions an den Spielfeldrand. Er taucht aufgebracht in der Coaching–Zone auf und beschimpft den Schiedsrichter! Immerhin hat der risikofreudige Unternehmer bis dahin wahrscheinlich seine dritte Tranche in Höhe von 150 Millionen Euro an Hertha überwiesen; es sind dann insgesamt 374 Millionen Euro, die er binnen eines Jahres investiert hat. Dreihundertundvierundsiebzig! So ein Mann darf sich einiges erlauben. Doch zu solch einer Szene wird es garantiert nie kommen.
Das war vor 30 Jahren anders. Damals galt der knorrige Bauunternehmer Heinz Roloff, Hertha-Präsident von 1985 bis 1994, als Lebensversicherung für den Verein. Bei Amtsantritt spendierte Roloff 200.000 Mark als Einstand, als er aufhörte, hatte er vermutlich zehn Millionen Mark aus eigener Tasche in den Zweitligisten gesteckt. Dafür nahm er sich einiges heraus. Bei einem Spiel der Hertha-Amateure auf der heutigen Hanne-Sobek-Sportanlage im Wedding betrat er empört das Spielfeld, ehe ihn der Schiedsrichter zurückschickte. Roloff rief: „Bei dem Geld, das ich in den Klub gesteckt habe, kann ich stehen, wo ich will!“
Hertha lebte früher über die eigenen Verhältnisse
Ich erzähle diese Episode, weil Lars Windhorst 30 Jahre später auch Ansprüche stellen wird. Hertha gehört dank seiner Millionen nun zu den Neureichen der Liga – und das zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte.
Meist war Hertha arm und wenig sexy und lebte über die eigenen Verhältnisse. Das schiefe Finanzgebaren begann schon in den Gründerjahren der Bundesliga, als man überhöhte Gehälter und Handgelder zahlte, um starke Spieler aus Westdeutschland anzulocken. Der Zwangsabstieg war die Folge. „Wir lebten von der Hand in den Mund“, sagte der damalige Schatzmeister Günter Herzog. Der Bestattungsunternehmer versteckte einst 55.000 Schwarztickets vor den DFB-Wirtschaftsprüfern in Särgen, die 165.000 Mark einbrachten.
Lizenzprobleme zogen sich durch viele Spielzeiten, das Budget war randgenäht. Selbstverdientes Geld kam nur in die Kasse, als das Team 1999/2000 zum bislang einzigen Mal die Champions League erreichte. Rund 40 Millionen Mark brutto betrug die Einnahme. Damals viel Geld, heute eher Peanuts.
Hertha könnte vielleicht in die Sphären von Mönchengladbach oder Wolfsburg vordringen.
Michael Jahn
Im Jahr 2020 aber ist Hertha durch den klugen Deal mit Windhorst robust durch die Corona-Krise gegangen. Mit dem Geld des Investors kann Manager Michael Preetz starke Profis verpflichten, von denen Hertha vor einem Jahr nicht mal träumen durfte. Hertha könnte vielleicht in die Sphären von Mönchengladbach oder Wolfsburg vordringen. Herthas Finanzchef Ingo Schiller sagte nun, Windhorst gehe es nicht um „eine jährliche Dividende oder Gewinnausschüttung“.
Ich denke, aber sicher um Einfluss und Prestige. Windhorst wird künftig mehr Druck ausüben auf die Klubchefs, damit sein Plan vom „europäischen Player“ Hertha –am besten noch mit viel Glamour verbunden – möglichst bald Realität wird. Man sei sich einig über die hohen Ziele, heißt es bei Hertha.
Doch wie einst Präsident Heinz Roloff, der nach Gutsherrenart regierte, wird sich ein Lars Windhorst natürlich nicht benehmen. Die Zeiten haben sich eben gewaltig geändert.