Hertha-Kolumne

Kevin-Prince Boateng schließt den Käfig ab

Der Rücktritt ist logisch. Aber weil seine Karriere so schillernd verlief, zeigt das Ende: Er wird fehlen.

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Als Kevin-Prince Boateng 2021 zu Hertha BSC zurückkehrte, besuchte er mit Bruder George Boateng den berühmten Bolzplatz in Wedding.
Als Kevin-Prince Boateng 2021 zu Hertha BSC zurückkehrte, besuchte er mit Bruder George Boateng den berühmten Bolzplatz in Wedding.City-Press

Das Ende einer schillernden und stets turbulenten Karriere kam überraschend unspektakulär daher. Vorige Woche verkündete Kevin-Prince Boateng im Alter von 36 Jahren seinen Rücktritt vom Profi-Dasein – ohne Ballyhoo und lediglich mit einem emotionalen Video auf Instagram. „Ich liebe Dich, aber das war’s für mich. Danke, Fußball!“, wählte der extrovertierte Ausnahmespieler als Abschiedsworte.

Am Ende des Videos, das auch bei mir Erinnerungen auslöste, steht Prince in dem Fußballkäfig, wo alles begann. Der liegt in der schmalen Travemünder Straße in Berlin-Wedding. Die Panke schlängelt sich dort lang, wo sich Boateng mit seinen Brüdern George und Jerome als Junge jeden Tag stundenlang tummelte. Harter Betonboden und zwei schiefe Tore mit alten Holzpfosten waren die Welt, in der sich das Trio bewegte, vom tristen Alltag im Problemkiez floh und lernte, sich beim Kicken gegen ältere Jungs durchzusetzen. „Ich komme aus dem Wedding. Da wird man Drogendealer, Gangster oder Fußballer“, sagte Prince einmal, „ich habe mich entschieden, Fußballer zu werden.“ Zum Glück!

Zum Abschied steht Prince im Video vor dem berühmten Käfig und sagt beinahe ungläubig: „Von hier aus bin ich raus. Tottenham, White Hart Lane, Wembley, San Siro und Camp Nou!“

Kevin-Prince Boateng posiert auf dem Bolzplatz in Wedding.
Kevin-Prince Boateng posiert auf dem Bolzplatz in Wedding.City-Press

Boateng kann alles: Bad Boy, Zauberer, Ghetto-Kid oder Emotional Leader

Auf Prince passten viele Bezeichnungen: Bad Boy, Zauberer, Ghetto-Kid oder Emotional Leader. Er bediente viele Klischees, fuhr dicke Autos, ließ sich zahlreiche Tattoos stechen, hatte stets eine große Klappe und ein noch größeres Ego.

Mitte der 2000er-Jahre erlebte ich hautnah, wie der junge Prince bei Hertha zum Bundesliga-Profi wurde. Er gefiel mit spektakulären Aktionen und stieg schnell zum Anführer der zahlreichen jungen wilden Spieler im Team auf, die ihre eigene coole Sprache pflegten und nur wenig Respekt vor den älteren Profis zeigten. Die Clique der Hochbegabten trug ihr Selbstbewusstsein gern zur Schau.

Im Sommer 2007 wurde Boateng für eine Ablöse von 7,9 Millionen Euro an Tottenham Hotspur verkauft. Was folgte, war eine aufregende Reise durch Fußball-Europa. Prince spielte für 14 Klubs in fünf Ländern, darunter bei den Branchen-Riesen AC Mailand und FC Barcelona. Er stand mit Zlatan Ibrahimovic und Lionel Messi auf dem Platz.

Mit dem Foul an Michael Ballack vor der WM 2010 wurde er zum Feindbild der deutschen Fans

Manche Begebenheiten haben sich im Gedächtnis eingebrannt. Als Prince beim englischen FA-Cup-Finale Michael Ballack, damals bei Chelsea, foulte und der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft deshalb die WM in Südafrika verpasste, wurde er zum Feindbild der deutschen Fans und erlebte einen ungeheuren Shitstorm. Ein Jahr später feierte er im Michael-Jackson-Outfit im Kessel des Mailänder San Siro tanzend wie einst der „King of Pop“ die italienische Meisterschaft.

2013 verließ er in einem Testspiel mit Milan gegen einen Viertligisten spontan den Platz, als er mit Affenlauten beschimpft worden war. Alle seine Mitspieler folgten ihm. Später hielt er eine bemerkenswerte Rede bei den Vereinten Nationen in Genf, als es um rassistische Vorfälle im Fußball ging. Das brachte ihm viel Respekt ein.

Nach dem Abstieg am 20. Mai 2023 führt Kevin-Prince Boateng den schweren Gang der Mannschaft Richtung Ostkurve an.
Nach dem Abstieg am 20. Mai 2023 führt Kevin-Prince Boateng den schweren Gang der Mannschaft Richtung Ostkurve an.Sören Stache/dpa

Bei der Rückkehr zu Hertha BSC war Boateng in der Kabine wichtiger als auf dem Platz

2018 führte er in bester Verfassung Eintracht Frankfurt zum Sieg im DFB-Pokal. Sein Trainer war Niko Kovac, mit dem er im August 2005 bei Hertha in einem Team stand, als er von Coach Falko Götz zu seinem Erstligadebüt kam.

Als Prince im Sommer 2021 zu Hertha zurückkehrte und im höheren Alter in der Kabine wichtiger war als auf dem Platz, hat er der Legende nach beim 2:0-Sieg im entscheidenden Relegationsspiel beim Hamburger SV die Aufstellung festgelegt, die Trainer Felix Magath akzeptierte …

Bei Hertha allerdings blieb Prince ein „Unvollendeter“. Außer dem Titel des Deutschen Meisters der B-Jugend 2003 konnte er mit seinem Lieblingsklub keine Trophäe holen. Am Ende stand im Mai 2023 gar der Abstieg in Liga zwei. Die musste sich einer wie Boateng nicht mehr antun. Ich sage: „Danke, Prince, für große Momente!“