Neue Serie: Die Väter des Hertha-Absturzes

Keuter verschärfte Kluft zwischen Herthas Fanbase und der Klubführung

Der KURIER hat eine Rangliste des Versagens bei den Blau-Weißen erstellt. Auf Platz 12: Paul Keuter.

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Paul Keuter (M.) – hier im Gespräch mit Werner Gegenbauer und Michael Preetz – verärgerte oft die Anhängerschaft.
Paul Keuter (M.) – hier im Gespräch mit Werner Gegenbauer und Michael Preetz – verärgerte oft die Anhängerschaft.Jan Huebner/imago

Der Niedergang von Hertha BSC deutete sich über vier Jahre an und endete mit dem Abstieg in die Zweite Bundesliga. Er ist die Folge eines kollektiven Versagens. Dennoch gibt es Protagonisten des Absturzes und Ereignisse, die den tiefen Fall beschleunigten. Platz 12: Paul Keuter!

Als die Mannschaften von Hertha BSC und vom 1. FC Nürnberg am 25. August 2018, dem ersten Spieltag der neuen Saison, den Rasen des Olympiastadions betraten, herrschte in der Ostkurve unter den Hertha-Fans große Unruhe. Fast alle waren verärgert, denn aus den Lautsprechern, die sehr weit aufgedreht waren, ertönte plötzlich der Song „Dickes B“ von der Berliner Band Seeed. Das war neu, denn der Verein hatte kurzfristig das Vorprogramm geändert. Herthas Anhang pfiff und johlte und sang den gewohnten und geliebten Song „Nur nach Hause geh’n wir nicht“ vom Berliner Urgestein und Hertha-Ehrenmitglied Frank Zander.

Nicht mal 24 Stunden zuvor hatte der Verein per Mail seine Mitgliedschaft informiert, dass „Dickes B“ als Einlauflied gespielt wird. Dieser Song, so hieß es, unterstreiche die Verbundenheit des Vereins zu Berlin. Das „Nur nach Hause …“ würde zeitlich vorgezogen.

Keuter verärgerte die Hertha-Fans mit der Einlaufhymne

Die einflussreichen Ultras unter der Anhängerschaft gingen sofort auf die Barrikaden und nannten das Vorgehen „einen herben Einschnitt in das Stadionerlebnis aller Herthaner“. Frank Zander reagierte mit Unverständnis und war aufgebracht.

Die Idee zu dieser Veränderung, die wohl auch als „Modernisierung“ tituliert wurde und weg wollte vom ehemaligen Kneipensong Zanders, ging damals von Paul Keuter aus, als Mitglied der Geschäftsleitung zuständig für Kommunikation, Markenführung, digitale Transformation und CSR (Corporate Social Responsibility), also soziale Themen. Doch der Druck der Fans und auch der Berliner Medien war so groß, dass die Klubchefs ihre Veränderung sofort zurücknehmen mussten. Zanders Hymne hatte gesiegt. Man kann auch sagen: Tradition setzte sich durch. Keuter musste diese Niederlage anerkennen, aber für die Fans, die Keuter gegenüber äußerst skeptisch waren, wurde dieser immer mehr zum Buhmann.

Keuters Image-Kampagnen halfen Hertha BSC wenig

Der gebürtige Hamburger (Jahrgang 1974) war vor seiner Zeit bei Hertha BSC beim Kurznachrichtendienst Twitter für den Sport zuständig und gestaltete etwa die Strategie des US-Unternehmens bei der Fußball-WM 2014 – mit Erfolg. Zudem beriet er den ehemaligen Hertha-Kapitän und 82-maligen Nationalspieler Arne Friedrich und ebnete ihm den Weg bei seinem Wechsel zu Chicago Fire in die Major League Soccer.

Hertha war dann 2016 der erste Bundesligaklub, der mit Keuter einen Experten für die Digitalisierung in die Klubführung bestellte.

Fans von Hertha BSC und leere Ränge
Fans von Hertha BSC und leere RängeMatthias Koch/imago

Nun hat Paul Keuter nie Tore für die Berliner geschossen und keine Tore verhindert. Mit den sportlichen Belangen der Mannschaft hatte er nichts zu tun, aber er hatte enormen Einfluss auf die Befindlichkeit der Fanszene und die wiederum auf die Stimmung im Stadion.

Er war der Mann im Hintergrund, der Herthas etwas verstaubtes Image verbessern und den Klub digitalisieren sollte. Nach einer seiner ersten Amtshandlungen hagelte es Kritik. Die Fans reagierten mit Häme und Unverständnis. In Kooperation mit der bekannten Werbeagentur Jung von Matt verkündete Keuter das neue Saisonmotto: „We try, we fail, we win!“ („Wir versuchen, wir scheitern, wir gewinnen!“) Das Gros der Fans konnte damit nichts anfangen, das Motto ging unter und wurde nach nur einem Jahr verändert. Es folgte der Spruch: „Die Zukunft gehört Berlin!“

Hertha-Fans beschmierten Keuters Wohnhaus

Keuter entwickelte mit Unterstützung der Klubchefs neue Claims und präsentierte Hertha offensiv in den sozialen Medien – auf Twitter, Instagram und Facebook. Oft waren die Nachrichten aus dem Westend mit frechen und ironischen Anmerkungen versehen. Von Keuter, der permanent in der Kritik der Fans stand, stammt der Satz: „Wer sagt, dass die Digitalisierung den Fußball kaputt macht, hat den Schuss nicht gehört!“

Der selbstbewusste Macher sah sich zunehmend Angriffen aus der Fankurve ausgesetzt, die auf Bannern seine Ablösung forderten. Im Oktober 2018 aber wurden einige „Anhänger“ kriminell und beschmierten das Wohnhaus der Familie Keuter. Ein Unding!

Viele Fans ärgerten sich über Keuters Vorgehen, der online um neue Mitglieder warb und – so die Meinung der Fans – sich zu wenig um die alte Anhängerschaft kümmerte. Man stritt um die Frage: Wie kommerziell und modern darf der Fußball und speziell die Hertha eigentlich werden?

Paul Keuter hat sich vor allem im sozialen Bereich mit vielen Projekten große Verdienste um Hertha erworben und trieb das gesellschaftspolitische Engagement des Vereins voran. Mit seinen forschen Losungen, die den Verein jung und modern erscheinen lassen sollten, lag er aber oft daneben und zog sich den Zorn zahlreicher Anhänger zu, die von seinem Tempo oft überfordert waren. So wurde die Kluft zwischen Klubführung und Fanbasis größer. Kein guter Zustand für das Klima im Verein und im Stadion.

Im August 2022 verkündete der Verein die Trennung von Keuter zum 30. September. Keuter selbst verabschiedete sich bei allen Mitarbeitern per Mail. Man habe die Zusammenarbeit im besten wechselseitigen Einvernehmen beenden können.

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