Neue Serie: Die Väter des Hertha-Absturzes

Im Kölner Keller ging es für Hertha selten gerecht zu

Der KURIER hat eine Rangliste des Versagens bei den Blau-Weißen erstellt. Auf Platz 20: der VAR.

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Dodi Lukebakio schlägt die Hände vors Gesicht, kann es nicht fassen, dass sein Tor gegen den VfL Bochum nicht zählte.
Dodi Lukebakio schlägt die Hände vors Gesicht, kann es nicht fassen, dass sein Tor gegen den VfL Bochum nicht zählte.Contrast/Imago

Der Niedergang von Hertha BSC deutete sich über vier Jahre an und endete mit dem Abstieg in die Zweite Bundesliga. Er ist die Folge eines kollektiven Versagens. Dennoch gibt es Protagonisten des Absturzes und Ereignisse, die den tiefen Fall beschleunigten. Die Väter des Absturzes – der KURIER hat eine Rangliste des Versagens bei den Blau-Weißen erstellt und startet die Serie mit Platz 20: Der VAR.

Ein Aufschrei ging durch das Olympiastadion, das mit über 70.000 Fußball-Anhängern fast komplett gefüllt war. Die Spieler von Hertha BSC lagen sich in den Armen, die Fans der Blau-Weißen jubelten. Nach einem Zweikampf auf Höhe des Mittelkreises zwischen Hertha-Angreifer Stevan Jovetic und Bochums Ivan Ordets hatte Dodi Lukebakio plötzlich viel Raum, sprintete in Usain-Bolt-Manier Richtung VfL-Tor und versenkte den Ball souverän zum 1:0 für Hertha BSC im Abstiegsgipfel gegen den VfL Bochum. Schiedsrichter Felix Brych aus München gab den Treffer.

Die Bochumer Profis bedrängten aber sofort den Referee, der VAR (Video Assistent Referee) schaltete sich aus dem „Kölner Keller“ ein und Brych machte das berühmt-berüchtigte Zeichen, malte mit beiden Armen einen viereckigen TV-Bildschirm in die Luft. Meist kein gutes Omen. Danach schaute er sich selbst die Szene noch einmal an und annullierte den schönen Treffer. Jovetic soll Ordets leicht gefoult haben. Der VAR hatte wieder einmal sämtliche Emotionen unterdrückt, die ein Fußballspiel so faszinierend machen. Später sollte sich herausstellen, dass Brych mit seiner Entscheidung richtig lag. Dennoch: Fakt ist, dass der VAR in dieser Spielzeit nicht der „Freund“ der Berliner war. Das Ende ist bekannt. Hertha kam am 20. Mai, dem 33. Spieltag, nur zu einem 1:1 gegen den VfL Bochum. Damit war der Abstieg vollzogen.

VAR: Diskussionen an jedem Bundesliga-Spieltag

Es heißt immer so schön, dass sich Fehlentscheidungen gegenüber einer Mannschaft am Saisonende meist ausgleichen. Das mag stimmen, aber wenn Fehlurteile – auch trotz Videobeweis – in entscheidenden Situationen passieren, kann das schon den Verlauf einer Saison beeinflussen. Hertha BSC hat vom VAR kaum profitiert, ist aber auch nicht wegen ihm abgestiegen.

Der VAR, der die Entscheidungen des Schiedsrichters unterstützen und verbessern soll, wurde in der Saison 2017/18 in der Ersten Bundesliga eingeführt und sorgt seitdem an jedem Spieltag für Diskussionen. Zur Unterstützung der Unparteiischen sitzen in einem Gebäude der Deutschen Fußball-Liga (DFL) in Köln, salopp der „Kölner Keller“ genannt, Video-Schiedsrichter, die das Spiel auf vielen Monitoren beobachten und bei „klaren Fehlern“ oder „Wahrnehmungsfehlern“ den Schiedsrichter im Stadion anfunken und Empfehlungen geben.

Hertha wurde konkret bereits am zweiten Spieltag mit dem VAR konfrontiert, konnte aber davon profitieren. Im Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt, das 1:1 endete, kam es kurz vor dem Abpfiff zu einer strittigen Szene. Nach einem Foul von Berlins dänischem Keeper Oliver Christensen an Rafael Santos Borré entschied Schiedsrichter Frank Willenborg auf Strafstoß. Nachdem sich der VAR aus Köln eingeschaltet hatte, schaute sich der Referee mehrere Minuten lang die Szene noch einmal an und nahm den Elfmeter wieder zurück.

Am sechsten Spieltag empfing Hertha das Team von Bayer Leverkusen (2:2) und wartete vergeblich auf den Einsatz des VAR. Kurios! In der 82. Minute schoss Jean-Paul Boetius aufs Bayer-Tor, Keeper Lukas Hradecky parierte, den zweiten Versuch blockte Odilon Kossounou ab und im dritten Anlauf traf Boetius den Pfosten. Hertha reklamierte ein klares Handspiel von Kossounou, das sogar von den Tribünen aus deutlich sichtbar war. Doch die Szene wurde nicht überprüft! Später gab sogar der DFB den Fehler zu …

„Kölner Keller“ hat bei Hertha keinen guten Ruf

Enormen Ärger brachte eine Entscheidung per Videobeweis der Hertha am 16. Spieltag, dem ersten nach der langen Winterpause wegen der WM in Katar. Hertha musste beim VfL Bochum antreten und war nach dem Trainingslager in den USA voller Optimismus. Doch am 21. Januar 2023 ging man mit 1:3 an der Castroper Straße unter. Die Niederlage kam unglücklich zustande – mit „Hilfe“ des VAR. Nach elf Minuten war Hertha in Führung gegangen. Marco Richter hatte eine Flanke von Boetius stark verarbeitet und mit der Hacke auf Lucas Tousart weitergeleitet. Der Franzose jagte den Ball in den Winkel des Bochumer Tores. Doch die Freude währte nur kurz. Das Tor zählte nicht, was im ersten Moment niemand begriff. In einer Szene einige Sekunden zuvor hatte Boetius den Ball erst leicht hinter der Grundlinie zurück auf den Rasen geschlagen, was der Referee nicht geahndet hatte. Das Spiel lief weiter, aber das Geschehen wurde nach Intervention des VAR nicht als neue Spielsituation gewertet und der Treffer aberkannt. Der ehemalige Profi Dietmar Hamann kritisierte am Sky-Mikrofon: „Eine katastrophale Entscheidung!“ Danach aber folgte ein mieser Auftritt, Hertha unterlag 1:3.

Am 27. Spieltag , am 8. April diesen Jahres, empfing Hertha im Olympiastadion RB Leipzig und haderte mit dem VAR. Nach 39 Minuten traf RB-Profi Mohamed Simakan per Kopf nach einer Ecke den Ball, den Amadou Haidara zum 0:1 über die Linie stocherte. Im ersten Moment sah es nach Torwartbehinderung aus. Nun kam der VAR zum Einsatz und der „Kölner Keller“ checkte a) wegen einer möglichen Abseitsposition, b) einem Foul an Keeper Oliver Christensen oder c) einem Handspiel. Der Treffer zählte schließlich, Christensen musste sich ein schlechtes Stellungsspiel bescheinigen lassen. Hertha-Trainer Sandro Schwarz tobte und sagte, Schiedsrichter Deniz Aytekin sei „völlig überfordert“.

Und zu guter Letzt kam der VAR im „Endspiel“ gegen Bochum (1:1) zum Einsatz, wie eingangs beschrieben. Der „Kölner Keller“ jedenfalls besitzt bei Hertha keinen guten Ruf.