Huch, Hertha BSC: Plötzlich können die Blau-Weißen ja Abstiegskampf!
In Druckspielen vergeigte Hertha BSC einst die Meisterschaft und den Pokalsieg, aber im Kampf um den Klassenerhalt ist das aktuelle Team von Trainer Sandro Schwarz auf den Punkt voll da.

Es war Hertha-Profi Marco Richter, der vor dem Duell gegen den FC Augsburg sagte: „Das ist ein Sechs-Punkte-Spiel für uns.“ Trainer Sandro Schwarz zierte sich stattdessen, sprach lieber von einem „Druckspiel“, bei dem es auch nur drei Punkte zu gewinnen gibt. Ich aber schloss mich angesichts der prekären Situation sofort der Meinung von Richter an und nachdem Hertha BSC dem Druck tatsächlich standhielt und zudem die Konkurrenten aus dem Tabellenkeller verloren, wurde es wirklich zu einem „Sechs-Punkte-Spiel“.
Nun aber warten auf die Mannschaft noch zwölf weitere Endspiele im gnadenlosen Kampf um den Klassenerhalt. Stellt sich die Frage: Ist Hertha, auch angesichts der Erfahrungen aus der Vergangenheit – positive, aber vor allem auch negative – in der Lage, viele Druckspiele zu gewinnen?
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Hertha BSC verspielt Champions League und DFB-Pokal
Als Reporter habe ich Dutzende entscheidende Begegnungen sehr unterschiedlicher Hertha-Teams erlebt, die leider ohne Erfolg geblieben sind. Das passierte im Abstiegskampf, auch im Ringen um einen Platz in der Champions League oder im DFB-Pokal. „Typisch Hertha“ wurde zu einem geflügelten Wort, wenn wieder einmal ein Entscheidungsspiel in die Hose ging und eine wunderbare Ausgangsposition nicht genutzt werden konnte. Einige Beispiele gefällig?

Sämtliche DFB-Pokalfinals in der Vereinsgeschichte gingen einst verloren – trotz solch starker Typen wie Erich Beer, Hanne Weiner oder Karl-Heinz Granitza. Das passierte im Mai 1977 gegen den 1. FC Köln (1:1 n.V. und 0:1) und auch im Juni 1979 (0:1 n.V. gegen Fortuna Düsseldorf). Das 0:1 der Hertha-Bubis im Endspiel 1993 gegen Bayer Leverkusen zählt natürlich nicht in diese Kategorie, weil die Berliner Amateure ein Jahr lang über sich hinauswuchsen.
Hertha BSC und der Druck: Einst flossen Tränen in der Kabine
Ernüchternd endete etwa 2009 das beinahe zum Endspiel um die Meisterschaft ausgerufene Duell gegen Schalke 04. Vor dem 33. Spieltag 2008/09 kämpfte Hertha unter Chefcoach Lucien Favre sogar um den Titel mit. Die Ausgangslage war top: Der VfL Wolfsburg und Bayern München lagen mit 63 Punkten vorn, Hertha folgte mit 62 Zählern, empfing Schalke und musste zum feststehenden Absteiger nach Karlsruhe. 74.244 Zuschauer drängten sich gegen Schalke im Stadion, heimlich wurden schon Szenarien für eine Meisterfeier durchgespielt.

Doch es gab nur ein 0:0. Und nach einem 0:4 beim KSC wurde gar die Champions League verspielt. Auch im DFB-Pokal setzte es böse Niederlagen gegen die „Kleinen“. Bei der Nennung der Namen der Schauplätze der Blamagen dreht es Hertha-Fans den Magen um: Kiel, Wuppertal, Braunschweig, Koblenz, St. Pauli …
Einmal aber hielt das Team im Pokalwettbewerb dem größten Stress stand. Trainer Huub Stevens war ein Ultimatum gestellt worden, er musste bei Hansa Rostock gewinnen. Siegen oder Fliegen war die Devise. Hertha gewann im Oktober 2003 mit 6:5 nach Elfmeterschießen. Ein Drama, nach dem in der Kabine Tränen flossen.
Unter Dardai und Magath: Hertha BSC trotzte dem Druck im Abstiegskampf
So, genug der Beispiele, die meist lange her sind. Die Fähigkeit, auch in sehr wichtigen Spielen zu bestehen, hat sich Hertha vor allem seit 2020 im permanenten Abstiegskampf erworben. Pal Dardai besitzt daran enormen Anteil. Als er nach dem 23. Spieltag 2020/21 zum zweiten Mal als Cheftrainer fungierte, sicherte eine Serie von acht Spielen ohne Niederlage am Saisonende den Klassenerhalt. Grandios: Trotz einer häuslichen Quarantäne der gesamten Mannschaft Mitte April wegen Corona holte das widerstandsfähige Team danach aus fünf Spielen binnen 13 Tagen neun Punkte.
Auch das zweite Relegationsspiel im Mai 2022 beim Hamburger SV unter Trainer Felix Magath (2:0) hat den Glauben, in Druckspielen gewinnen zu können, enorm gestärkt. Und die Erfolge unter Sandro Schwarz gegen Köln, Mönchengladbach und nun gegen Augsburg könnten das Selbstvertrauen in neue Höhen treiben.
Vielleicht braucht dieses Team sogar den ganz großen Druck, um erfolgreich zu sein? Für alle, die es mit der Hertha halten, ist das aber purer Stress.
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