So geht’s: Herthas Maxi Mittelstädt (v.) haut sich gegen Bayerns Serge Gnabry voll rein.
So geht’s: Herthas Maxi Mittelstädt (v.) haut sich gegen Bayerns Serge Gnabry voll rein. Jan Huebner/Imago

Wer es mit Hertha BSC hält, muss derzeit in die Vergangenheit flüchten, um wenigstens ab und an klitzekleine Erfolgserlebnisse zu erhaschen. Dann ist die triste Gegenwart rund um die Mannschaft vielleicht besser zu ertragen. Dazu passte, dass mir der ehemalige Hertha-Profi Detlev Szymanek (69) vor dem Duell der Berliner in München ein uraltes Video schickte. In 120 Sekunden ist dort Herthas 2:0-Sieg beim FC Bayern zu sehen – vom 29. Oktober 1977.

Man kann sich an den Szenen erfreuen, als Gerhard Grau und Bernd Gersdorff die Bayern-Abwehr düpierten. Dieser Erfolg ist und bleibt auch nach dem jüngsten Auftritt unter Trainer Pal Dardai am zurückliegenden Sonntag der letzte Sieg einer Hertha-Mannschaft bei den Bayern in deren Arena. Er hat längst Patina angesetzt.

Kämpfen Ruhrpott-Teams besser als Hertha?

Szymanek, der in Düsseldorf lebt und mit der Hertha bangt, hat einst zwischen 1975 und 1977 insgesamt fünf Treffer im Berliner Trikot gegen Bayern erzielt. Berühmt hat ihn sein Dreierpack gegen Weltmeister-Keeper Sepp Maier binnen sieben Minuten gemacht – bei der 4:7-Niederlage in München am letzten Spieltag der Saison 1975/76.

Irgendwie alles ein paar Nummern kleiner und weniger bunt als heute: Detlev Szymanek in der Saison 1975/76 im Trikot von Hertha BSC.
Irgendwie alles ein paar Nummern kleiner und weniger bunt als heute: Detlev Szymanek in der Saison 1975/76 im Trikot von Hertha BSC. Horstmüller/Imago

Da Szymanek Anfang der 1980er-Jahre auch für Schalke 04 stürmte und die Ruhrpott-Mentalität erlebte, fragte ich ihn, warum Gelsenkirchen oder auch der VfL Bochum in der Lage sind, enge Spiele zu drehen in der nun entscheidenden Phase des Abstiegskampfes. Wenn ich Duelle der Teams aus dem Pott verfolge, sehe ich oft mehr Aggressivität, mehr Leidenschaft bei den Protagonisten, die jeden Meter des Platzes beackern, als bei der Hertha. Oder täusche ich mich?

Szymanek glaubt, dass das Thema „Mentalität“ zu stark aufgeblasen wird. Jeder Profi in der Bundesliga habe eine Siegermentalität, der eine besitze mehr Biss, der andere weniger, so Szymaneks Meinung. Dennoch sei ein Verein wie Schalke traditionell mehr in den Familien der Einwohner verankert als etwa in Berlin mit seinen vielen Zugezogenen. Diese innige Verbindung würde die Mannschaft zusätzlich antreiben.

Pal Dardai hat in kurzer Zeit was bewegt

Dennoch: Die Zuneigung der Hertha-Fans zu ihrem Verein ist genauso groß wie auf Schalke, ist aber auch Schwankungen unterworfen. Pal Dardai, Herthaner durch und durch, hat in seiner kurzen Zeit als Retter einiges bewegt – die Abwehr wurde stabilisiert und der Zusammenhalt auf dem Platz gefestigt. Er sagte nach dem 0:2 in München: „Ich habe eine Mannschaft gesehen. Jeder hat dem anderen geholfen.“ Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit in prekären Situationen, aber bei Hertha schien diese Tugend unter Trainer Sandro Schwarz zuletzt verloren gegangen zu sein.

Da der Blick in die oft erfolgreichere Vergangenheit nicht nur Trost für die Anhänger bringt, sondern auch die Spieler puschen kann, sollte Dardai seinen Kickern ein paar Szenen aus Duellen vorspielen, wo Hertha-Profis im wahrsten Sinne über ihre Schmerzgrenze gingen.

Kiraly, Wosz, Hartmann – wahre Hertha-Helden

Hier zwei Beispiele, bei denen ich als Reporter hautnah dabei war. Beim ersten Auftritt in der Champions League (ja, da spielte Hertha einst!) im September 1999 bei Galatasaray Istanbul (2:2) verletzte sich Dariusz Wosz am Innenband, Thomas Helmer erlitt einen Innenbandriss und Michael Hartmann einen Mittelfußbruch. Nach der Roten Karte gegen Kostas Konstantinidis hielten acht Feldspieler mit dem starken Dardai das wertvolle Remis.

Hertha lässt sich auch vom Rot durch den Schweizer Schiri Urs Meier für Kostas Konstantinidis (l.) 1999 in der Champions League bei Galatasaray Istanbul nicht schocken.
Hertha lässt sich auch vom Rot durch den Schweizer Schiri Urs Meier für Kostas Konstantinidis (l.) 1999 in der Champions League bei Galatasaray Istanbul nicht schocken. Camera 4/Imago

Im Dezember 2002 verteidigte Hertha im Uefa-Cup in London beim FC Fulham aufopferungsvoll ein 0:0, obwohl Josip Simunic mit einem Kieferbruch ins Krankenhaus musste und Keeper Gabor Kiraly, der überragend hielt, die letzten 20 Minuten mit einer schmerzhaften Hüftprellung durchhalten musste. Später, auf dem Flughafen, wurde er im Rollstuhl gefahren …

Nun muss es im Alles-oder-nichts-Spiel am Sonnabend gegen den VfB Stuttgart nicht gleich so martialisch zugehen wie geschildert. Doch über die eigene Schmerzgrenze müssen alle Hertha-Spieler gehen. Das sind sie ihrem Arbeitgeber und ihrer Anhängerschaft schuldig. 

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