Hertha BSC: Eine Choreografie sorgt für Gänsehaut
Was die Fans von Hertha gegen Frankfurt auf die Ränge zauberten, kann eine große Zukunft haben.

Was geht in einem Fußballfan vor, der sein stilisiertes Konterfei mehrere Meter groß auf einem riesigen Stück Stoff im Olympiastadion sieht – und das vor 45.000 Zuschauern? „Das war unglaublich“, sagt Hertha-Urgestein Helmut Friberg, „das ist eine große Ehre für mich.“ Der 66-Jährige vom Anhängerclub Oberring war eine der Hauptfiguren einer großartigen Choreografie der Hertha-Fans vom Förderkreis Ostkurve vor dem Spiel gegen Eintracht Frankfurt. Im Zentrum der sechs überdimensionalen Bilder liest der Großvater, für den Friberg „Modell“ stand, seinem Sohn und seinem Enkel aus der 130-jährigen Historie des Vereins vor.
Diese einmalige Inszenierung, deren aufwendige Planung die Fanszene unmittelbar nach dem mit 2:0 gewonnenen Relegationsspiel beim Hamburger SV Ende Mai begann, hatte das halbe Stadion erfasst. Als Augenzeuge war auch ich beeindruckt und konnte mich kaum sattsehen an diesem Werk, das auch die Profis samt Trainer Sandro Schwarz als unglaublich motivierend empfanden. Da die intensive Unterstützung der Zuschauer während des Spiels anhielt und der Kampfgeist der Profis auch nach dem Abpfiff von der Ostkurve honoriert wurde, glaube ich, dass ein neues Zusammengehörigkeitsgefühl bei Hertha entsteht.
Dass die Fans von Hertha BSC so reagieren, ist nicht selbstverständlich
Fakt ist aber auch, dass dies erst ein zartes Pflänzchen ist, das nur gedeiht, wenn sich auch der sportliche Erfolg einstellt und die Mannschaft dauerhaft als verschworene Gruppe auftritt. Dass die Fanszene beim ersten Heimspiel der neuen Saison so positiv reagiert, war für mich nicht selbstverständlich nach dem schwachen Auftritt zuvor beim Derby an der Alten Försterei. Obwohl auch dort nach der Pleite das Team überraschend wohlwollend verabschiedet worden war.
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Noch vor einem halben Jahr stellte sich das Verhältnis zwischen Fans, Team und alter Klubführung ganz anders dar. Gerade nach den schmerzhaften Niederlagen gegen den Stadtrivalen aus Köpenick gab es heftigen Zoff. Im Januar störten 80 Ultras nach der 2:3-Niederlage im DFB-Pokal gegen Union das Abschlusstraining der Mannschaft vor dem Duell gegen Bayern und strömten auf den Schenkendorffplatz. Der ultimative Höhepunkt der Auseinandersetzungen passierte nach der 1:4-Heimniederlage gegen Union in der Liga im April. Fans aus der Ostkurve zwangen einige vor allem junge Profis, ihr Trikot auszuziehen und auf den Boden zu werfen. Ein erniedrigendes Ritual. Danach war das Tischtuch zwischen Mannschaft und Anhang zerschnitten.
Bei Hertha BSC herrscht unter Präsident Kai Bernstein Aufbruchstimmung
Fakt ist, seit dem Klassenerhalt im letzten Moment und vor allem nach der überraschenden Wahl von Kay Bernstein zum neuen Hertha-Präsidenten ist eine Aufbruchstimmung entstanden, die für das Zusammengehörigkeitsgefühl sehr förderlich ist. Bernstein (41) hat mit seiner erfrischenden und unkonventionellen Art daran großen Anteil. Ich habe mich in der Fanszene umgehört – viele Anhänger bestätigen meine These vom „Bernstein-Effekt“, der zu beobachten sei.
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Fans berichteten mir, dass seit dem Amtsantritt von Bernstein auf der Geschäftsstelle eine entspannte Atmosphäre herrscht. Bernstein sei fast überall, auch bei den Heimspielen der Amateure. Dort begrüße er beinahe jeden, habe für alle ein persönliches Wort.
Bei Hertha BSC rücken alle gerne wieder enger zusammen
Knut Beyer, treibende Kraft der Initiative Blau-Weißes Stadion, meint: „Die Wahl von Bernstein zum Präsidenten war goldrichtig. Erste Veränderungen, die er angekündigt hat, werden schon umgesetzt. Er hält Wort. Das kommt an.“ Auch wenn Bernstein nicht mehr wie einst in der Ostkurve steht und längst auf der Haupttribüne im Olympiastadion seinen Platz hat, die Fans haben das Gefühl, „da ist einer von uns an der Spitze unseres Vereins“. Da rückt man gerne wieder enger zusammen.
Das sieht auch Helmut Friberg, der überdimensionale „vorlesende Großvater“ der jüngsten Choreografie so: „Ja, Bernstein tut gut.“ Friberg, auch treuer Begleiter der Hertha in der Fremde, ist am Freitagabend natürlich im Borussia-Park beim Duell in Mönchengladbach dabei. Es ist sein 724. Auswärtsspiel! Dieser Mann hatte seinen zentralen Platz im Kunstwerk der Fans wahrlich verdient.