Hat gelernt, sich bei Hertha BSC durchzusetzen: Mittelfeldmann Lucas Tousart (25). 
Hat gelernt, sich bei Hertha BSC durchzusetzen: Mittelfeldmann Lucas Tousart (25).  Imago/Matthias Koch

Die Zeit rennt. Nur noch acht Spieltage sind es in der Bundesliga bis zur zehnwöchigen Pause wegen der Weltmeisterschaft im November und Dezember in Katar. Ich habe überlegt, wer bislang mein Top-Herthaner war, wer mich am meisten beeindruckt hat. Vielleicht der junge Keeper Oliver Christensen? Oder Marco Richter? Und Dodi Lukebakio? Alle Genannten waren stark, aber mein „Hertha-Spieler der bisherigen Saison“ ist Mittelfeldmann Lucas Tousart.

Der kraftvolle Typ kam 2020 in der Goldgräberphase des Vereins, der mit den Millionen von Investor Lars Windhorst plötzlich als Big-City-Club firmierte, von Olympique Lyon nach Berlin. Mit 25 Millionen Euro Ablöse trägt der 25-Jährige bis heute das Etikett des teuersten Hertha-Spielers aller Zeiten um den Hals.

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Hertha BSC: Lucas Tousart, vom Fremdkörper zum Anführer 

Tousart benötigte über eineinhalb Jahre, ehe er die hohen Erwartungen erfüllen konnte. Lange wirkte er wie ein Fremdkörper, was zahlreiche Ursachen hatte. Er kam nach viermonatiger Corona-Pause in der französischen Ligue 1 nach Berlin. Er traf auf ein Team, das von Egoisten geprägt war, eine Mannschaft ohne Hierarchie, ohne Achse. Und – er sprach kein Deutsch und nur rudimentäres Englisch. Die Zeiten haben sich drastisch geändert. Tousart ist längst Antreiber und Stratege in Personalunion, wandelte sich bereits unter Trainer Felix Magath vom prominenten Mitläufer zum Herz der Mannschaft. Seine Spielweise ist für mich eine Mischung aus Pal Dardai und Per Skjelbred.

Hertha-Trainer Sandro Schwarz vertraut Lucas Tousart, setzt auf den französischen Mittelfeldmann. 
Imago/Contrast
Hertha-Trainer Sandro Schwarz vertraut Lucas Tousart, setzt auf den französischen Mittelfeldmann. 

Gab es in der Vergangenheit auch andere Spieler, die bei Hertha eine lange Anlaufzeit benötigten, um ihr großes Potenzial abrufen zu können oder solche, die keinen langen Atem besaßen? In einem Telefonat mit Kulttrainer Jürgen Röber,68, haben wir über dieses Thema gesprochen. Wir kamen auf einen Profi, der es einst auch nicht sofort zur unumschränkten Stammkraft schaffte, aber später zum großen Anführer aufstieg: Michael Preetz.

Hertha BSC: Luziao und Wichniarek kamen nie an 

Nun hinkt der Vergleich etwa mit Tousart gewaltig – es waren halt andere Zeiten. „Michael kam 1996 als gestandener Zweitliga-Spieler zu uns“, erinnert sich Röber. Hertha zahlte schlappe 200.000 Mark Ablöse an Wattenscheid 09. Unter Röber war Preetz, genannt der „Lange“, aber nicht von Beginn an im Angriff gesetzt. Axel Kruse galt als Nummer eins. „Der Lange fragte mich anfangs: Trainer, warum spiele ich nicht?“ so Röber. Die Antwort des Trainers: „Zeig Du mir erst im Training, was Du draufhast!“

Röber sagt: „Michael war nie der begnadete Techniker, doch ich habe immer unglaublich viel Wert auf Techniktraining gelegt, zum Leidwesen meiner Spieler Dinge permanent wiederholt. So wie die Golf-Profis oder die Tennis-Asse jeden Tag ihre Schläge üben. Der Lange hat dann eine unglaublich starke Entwicklung genommen – vom Zweitligaspieler zum Torschützenkönig der Ersten Liga und sogar bis zum Nationalspieler. Davor ziehe ich noch heute meinen Hut.“

Hertha BSC: Auch Preetz und Simunic benötigten Anlaufzeit

Andere prominente Stürmer schafften es trotz langer Anlaufphase nicht, bei Hertha heimisch zu werden. Luizao, Weltmeister mit Brasilien 2002 und beim Championat der Backup des großen Ronaldo, kam in der Liga nie richtig an, plagte sich auch mit Heimweh und schoss in zwei Spielzeiten magere vier Tore in der Bundesliga. Auch Torjäger Artur Wichniarek, bei Arminia Bielefeld in der Zweiten Liga als „König Artur“ gefeiert, schaffte es in gleich zwei Anläufen bei Hertha (2003 und später 2009) nicht, sein Potenzial einzubringen.

Ein positives Beispiel zum Schluss. Abwehrmann Josip Simunic brauchte sehr lange, um zur Stammkraft zu reifen. Der sensible Kroate zerfleischte sich nach jedem Fehlpass. Erst mit Hilfe eines Mentalcoaches machte er sich bei Hertha viele Jahre unentbehrlich, kam auf 222 Erstligaspiele und stieg zu einem der besten Innenverteidiger der Liga auf. Er besaß einen langen Atem. Das erwarte ich nun auch weiter von Lucas Tousart. Der Franzose besitzt das Zeug, zum Anführer Nummer eins zu werden.  

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