Pal Dardai (r.) beruft sich derzeit auf seinen ehemaligen Mentor Lucien Favre.
Pal Dardai (r.) beruft sich derzeit auf seinen ehemaligen Mentor Lucien Favre. Foto: Imago

Es war lange Zeit still geworden um Lucien Favre, den Schweizer Taktik-Fuchs. Nach der Trennung von Borussia Dortmund Mitte Dezember vorigen Jahres tauchte der 63 Jahre alte Trainer nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Dennoch soll es sofort neue Angebote von Klubs gegeben haben, etwa von OGC Nizza (wo Favre schon einmal erfolgreich gearbeitet hat) oder von Olympique Marseille. Nun aber wird der eigenwillige Coach, gern als „Bessermacher“ tituliert, sogar als Kandidat und Nachfolger von Adi Hütter bei Eintracht Frankfurt gehandelt. Fakt ist, der ehemalige Hertha-Trainer hält sich derzeit in seinem Heimatort Saint-Barthelemy – einem 800-Seelen-Örtchen in der Romandie – auf.

Pal Dardai beruft sich auffällig oft auf Lucien Favre

Nur Pal Dardai, der zweieinhalb Jahre als Profi unter Favre spielte, nahm den Namen Favre zuletzt auffällig oft in den Mund. Zuerst erkor Dardai die einstigen Rechenspiele des Schweizers zu seinem Vorbild („sieben Punkte aus vier Spielen sind gut“), danach gab er eine Episode zum Besten, wie er den von einer Verletzung genesenen Weltmeister Sami Khedira zum Einsatz animieren wolle. Favre hatte früher zu Dardai nach einer Verletzung des Ungarn dessen Bedeutung unterstrichen und gesagt: „Pal, kannst du auch mit einem Bein spielen? Du musst Ja oder Nein sagen!“ Dardai sagte damals Ja zu Favre und nun auch Khedira zum Berliner Coach.

Nur eines der vielen Bonmots des Schweizers hat Dardai noch nicht wiederholt. Deshalb mache ich es an dieser Stelle. „Eine Mannschaft aufzubauen ist so ähnlich wie einen Kuchen backen“, dozierte Favre gern, „du brauchst die richtigen Zutaten. Du hast den Teig fertig geknetet und plötzlich fehlt Zucker oder Zimt. Die Mischung macht immer den Unterschied. Es muss nur ein Detail fehlen und der Kuchen misslingt!“

Vor dem 2:2 der Hertha gegen Borussia Mönchengladbach gab es aus meiner Sicht eine Menge Zutaten, die das Zeug hatten, den „Kuchen“, völlig zu verderben. Torhüter Rune Jarstein fiel wegen eines positiven Corona-Befunds aus. Mit Kapitän Dedryck Boyata lag der Trainer über Kreuz, weil der Abwehr-Boss nach dreimonatiger Verletzungspause eine Halbzeit im Länderspiel für Belgien gegen Belarus (8:0) aufgelaufen war und sich danach in Berlin prompt erneut verletzte. Last but not least kam es nach der Trennung von Torwarttrainer Zsolt Petry wegen homophober Äußerungen sogar zu diplomatischen Verwicklungen, die die Außenministerien von Ungarn und Deutschland beschäftigten. Und: Herthas Wunschkandidat als Kurzzeit-Nachfolger für Petry, Vereinslegende Gabor Kiraly, sagte aus persönlichen Gründen ein Blitz-Engagement ab. Manch Cheftrainer wäre wohl verzweifelt.

Herthas Mannschaft fiel nicht zusammen

Wenn ich beim Bild des Kuchens von Favre bleibe, hätte der schnell zusammenfallen müssen wie ein Soufflé, wenn die Tür des Backofens zu schnell geöffnet worden ist. Herthas Mannschaft aber fiel nicht zusammen, trotzte den zahlreichen Widrigkeiten, vergab aber dennoch im dramatischen Abstiegskampf wertvolle Punkte.

Dardai war von Beginn an seiner „Mission Klassenerhalt“ klar, welche Zutaten seiner Mannschaft fehlen: vor allem erfahrene Leute mit mentaler Stärke, die auf dem Platz ein Spiel beruhigen oder beschleunigen können, die den Takt vorgeben und die auch lautstarke Anweisungen geben.  Für die fehlerhafte Zusammenstellung der Mannschaft kann Dardai nichts, er versucht intensiv, aus einer Ansammlung von Individualisten ein Kollektiv zu formen, das den Klassenerhalt sichern kann. Eine Aufgabe, die wohl schwerer ist als erwartet.

Für den Trainer und alle Hertha-Anhänger habe ich angesichts der prekären Lage aber noch eine gute Nachricht parat. Der viel zitierte Lucien Favre schrieb mir am Sonntag in einer Kurznachricht: „Hertha wird nicht absteigen. Keine Sorge!“ Wenn der Schweizer recht behält, werde ich ihm eine wunderschöne Sahnetorte schicken. Versprochen!