Ein Star wie Mario Balotteli? Hertha BSC braucht keinen Glanz und Glamour
Ein Kicker, der aus dem Rahmen fällt, bringt oft das Teamgefüge oder die Gehaltsstruktur durcheinander und den gibt es bei den Blau-Weißen nicht. Das Zeug zum Publikumsliebling haben bei Hertha dennoch mehrere Spieler.

Beinahe unbemerkt von Fußball-Deutschland ist dem kleinen Schweizer Super-League-Verein FC Sion ein sensationeller Transfercoup gelungen. Sion verpflichtete mit dem Italiener Mario Balotelli (32) einen Stürmer, dem oft bescheinigt worden war, zwischen „Genie und Wahnsinn“ zu agieren, ein Enfant terrible zu sein, meist genial auf dem Platz, aber ebenso unberechenbar außerhalb der Stadien. Balotelli? Ja, da war doch was!
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2012 wurde der Exzentriker zum Albtraum der deutschen Fans, als er im Halbfinale der EM, beim 2:1-Sieg der Italiener gegen das Team von Jogi Löw, zwei Treffer in Weltklasse-Manier erzielte. Danach warf er sein Trikot zu Boden und präsentierte seinen muskulösen Oberkörper wie ein wilder Bodybuilder. Ein Bild, das unvergessen bleibt und noch heute beim Betrachten auf YouTube furchterregend wirkt.
Stars, Glanz und Glamour fehlen Hertha BSC
Sion ist die zehnte Station des bulligen, technisch starken Mannes, der nun in fünf europäischen Ländern spielte und Verträge bei Inter und AC Mailand, Manchester City, dem FC Liverpool oder OGC Nizza (unter Trainer Lucien Favre) in seiner Vita stehen hat. Sion zahlte drei Millionen Euro Ablöse an Adana Demirspor in der Türkei und Balotelli rund 1,5 Millionen Euro Gehalt plus Prämien. „Der Hype ist riesengroß, die Trikots mit der Nummer 45 werden den Fanshop-Mitarbeitern aus den Händen gerissen“, sagte mir Journalisten-Kollege und Sion-Experte Stephane Fournier am Telefon, „rund um den Klub herrscht totale Euphorie“.
Warum erzähle ich das an dieser Stelle? Ich hatte überlegt, was es Hertha BSC gebracht hätte, einen Mann solchen Kalibers zu verpflichten, der die Fans verzückt, der Glanz und Glamour bringt, aber vielleicht auch viele Probleme?
Ein Star, der aus dem Rahmen fällt – sei es durch Leistung, Auftreten, sein Äußeres oder seine Nähe zum Anhang –, bringt auch oft das Teamgefüge durcheinander oder die Gehaltsstruktur. Diese Gefahr besteht beim derzeitigen Hertha-Aufgebot, dass keinen „Balotelli“ besitzt, nicht. Dennoch sehe ich inzwischen einige Profis, die durchaus das Zeug zum Publikumsliebling besitzen.
Wer wird Publikumsliebling bei Hertha BSC?

Da ist Angreifer Marco Richter, der natürlich aufgrund seiner ganz speziellen Geschichte – der raschen Überwindung seiner Hodenkrebserkrankung –, aber auch wegen seines Temperaments und Mutes auf dem Platz und seiner offenen, bodenständigen Art große Sympathien bei den Hertha-Fans besitzt. Richter, erst 24 Jahre jung, hat noch viel Potenzial nach oben.
Hinzu kommen aus meiner Sicht zwei Profis, die man in Berlin bereits abgeschrieben hatte und die sogar als Verkaufskandidaten galten. Der schnelle Angreifer Dodi Lukebakio ist seit Saisonbeginn wie ausgewechselt, zeigt neben seiner enormen individuellen Klasse endlich auch Einsatz bei den ungeliebten Defensivaufgaben, steckt nie auf und kann durchaus Spiele allein entscheiden. Solche Spieler liebt die Kurve.
Hertha BSC: Christensen auf den Spuren von Kiraly
Ein ganz anderer Typ ist der Franzose Lucas Tousart, mit 25 Millionen Euro Ablöse noch immer der teuerste Einkauf der Vereinsgeschichte. Gemessen daran, blieb der Mittelfeld-Mann lange vieles schuldig. Doch spätestens seit der dramatischen Endphase der Vorsaison, beim Alles-oder-Nichts, geht Tousart, ein unbändiger Kämpfer, der alle Ecken des Platzes beackert, voran. Er ist im wahrsten Sinne ein mitreißender Profi. Nicht umsonst wird er auch von vielen Fans der „wahre Kapitän“ genannt.
Mancher Leser wird sich wundern, dass ich auch dem jungen, oft emotionalen Torhüter Oliver Christensen die Rolle eines Fanlieblings zutraue. Auch ich hatte zuerst meine Bedenken, registrierte Unsicherheiten bei der Strafraumbeherrschung und andere kleine Fehler. Aber was der Däne zuletzt leistete, war großartig. Mit seinem offensiven und risikoreichen Spiel erinnert er mich an Kultkeeper Gabor Kiraly, der seinem Trainer Jürgen Röber einst oft den Angstschweiß auf die Stirn trieb. Christensen gehört die Zukunft.
Mein Fazit: Lieber keinen Balotelli, dafür viele starke, unterschiedliche Typen, die ein Kollektiv voranbringen. Zeit für einen Star gibt es vielleicht später immer noch.
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