Hertha-Kolumne

Das Dardai-Orakel für Hertha BSC: Cleverer geht’s kaum

Die Trainerprognose von Jahren in der Zweiten Bundesliga nimmt den Druck vom Team. Weiter also auf lange Sicht mit Duellen gegen Paderborn oder Osnabrück?

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Beim 5:0 über Fürth von Hertha BSC fiel bei den Spielern mit jedem Tor mehr Ballast ab.
Beim 5:0 über Fürth von Hertha BSC fiel bei den Spielern mit jedem Tor mehr Ballast ab.City-Press

Diese Ansage hatte es in sich! „Hier bei Hertha braucht der Aufstieg, so wie es im Moment aussieht, drei, vier Jahre!“, sagte Trainer Pal Dardai. Jetzt, so der Ungar weiter, spiele man in einem Übergangsjahr, danach komme ein Jahr der Stabilität …

Weiter also auf lange Sicht mit Duellen gegen Paderborn oder Osnabrück im Kessel des Olympiastadions, in dem die Hertha einst den AC Mailand oder Chelsea London das Fürchten lehrte? Für mich jedenfalls keine verlockende Vorstellung. Mutiert Hertha doch zum zweiten Hamburger SV, der sich im sechsten Jahr in der Zweitklassigkeit quält, um endlich wieder ins Oberhaus zu gelangen?

Man könnte es befürchten, wenn man sich die Aufstiegsprognose, die Pal Dardai vorige Woche stellte, auf der Zunge zergehen lässt. Die gab der Ungar allerdings vor dem fulminanten 5:0-Befreiungsschlag gegen die Spvgg Greuther Fürth ab, was durchaus zu beachten ist.

Ein Teil der Fans wird enttäuscht reagiert haben, hoffen doch viele Anhänger noch immer auf eine schnellere Rückkehr in die Erste Liga. Dorthin, wo man sich als Hauptstädter natürlich per se gern sieht.

Trotz Dardais Ankündigung hoffen viele Fans auf eine schnelle Rückkehr von Hertha BSC in die Bundesliga

Dardais Ankündigung entspricht aber der Realität, ganz klar. Er kann am besten einschätzen, zu welchen Leistungen sein Aufgebot fähig ist, dass unter eisernem Sparzwang zusammengestellt ist. Aber ich frage mich, was wird seine Voraussage bewirken? Gibt sie etwa Spielern ein Alibi, ein paar Schritte weniger zu gehen, sich nicht permanent zu quälen, weil man ja sowieso nicht unter totalem Aufstiegsdruck steht?

Oder spornt sie zusätzlich an, sich zu beweisen, um das schwer zu Schaffende doch früher zu erreichen und so zu Aufstiegshelden zu werden?

Dardais Orakel brachte jedenfalls erst einmal einen äußerst positiven Effekt. Das Team spielte gegen Fürth engagiert, agierte geschlossen und mutig. Einen solch starken Auftritt habe ich lange nicht im Olympiastadion erlebt.

Herthas Kapitän Toni Leistner, nach Nasenbeinbruch mit Maske auf dem Platz, treibt seine Mitspieler gegen Fürth an.
Herthas Kapitän Toni Leistner, nach Nasenbeinbruch mit Maske auf dem Platz, treibt seine Mitspieler gegen Fürth an.Sportfoto Zink/imago

Fürth war eine richtige Ansage von Hertha BSC mit einem starken Statement von Toni Leistner

Es war dennoch der erste Sieg nach drei Niederlagen zuvor. Ein Statement von Toni Leistner, dem neuen Kapitän, hat es mir besonders angetan. Der gab die Richtung vor und sagte: „Jubelnd und jauchzend brauchen wir jetzt nicht durch die Stadt zu rennen, auch wenn solch ein Auftritt gegen Fürth ein gutes Zeichen des Teams ist. Wichtig wird sein, jetzt nachzulegen und zu bestätigen, dass wir die Zweite Liga angenommen haben.“ Bravo, Toni!

„Wie Leistner mit seiner Maske nach einem Nasenbeinbruch kämpfte, hatte schon etwas Archaisches. Großartig, ein Mann, der Emotionen weckt“, sagte mir Dr. Gerd Driehorst. Der Coach für Führungskräfte in Politik und Wirtschaft stand Ende der 1990er-Jahre in Diensten der Hertha und war der erste Mentalcoach in der Bundesliga. Zu Dardais Prognose hat er eine spezielle Meinung: „Die drei, vier Jahre bis zu einem Aufstieg hat er sicher nicht ganz ernst gemeint. Er hat so vor allem den enormen Druck rund um das Team maximal herausgenommen und auch das Umfeld auf einen längeren Weg eingestimmt, das Geduld haben muss. Das war clever und sehr geschickt.“

In dieser Woche entscheidet sich, mit welchem Aufgebot Hertha diese schwere Saison weiterspielen wird. Am 1. September um 18 Uhr schließt das Transferfenster. Kann Sportdirektor Benjamin Weber mit der Perspektive eines späten Aufstiegs und stark abgespeckten Gehältern gute Kicker nach Berlin locken? Ich denke schon. Spieler, die jetzt zu Hertha kommen, wissen genau, auf was sie sich einlassen, sehen eine Chance, sich zu zeigen und zu entwickeln. Weber kann mit einem starken Trainer punkten, mit einer spannenden Liga, in der auch große Klubs spielen, mit tollen Fans und der Stadt Berlin. Der ehemalige Manager Dieter Hoeneß fuhr einst mit Neuzugängen als Erstes stundenlang durch die City und das idyllische Umland – vom Kudamm, durch den Grunewald bis zum Wannsee …