Brunos Bilanz: Selbst Klinsmann war besser

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Was sich im Augenblick in der Alten Försterei abspielt, ist beeindruckend. Im Moment jedenfalls würde ich gerne die Aufgabe meines Kolumnen-Partners übernehmen, der über den aufregenden sportlichen Aufschwung der Unioner schreiben kann, vor allem über eine Mannschaft mit Herz!
Vor Saisonbeginn hatte ich mir auch solch positive Schlagzeilen über Hertha BSC vorgestellt, etwa „Hertha greift die Spitze an“ oder „Labbadia-Elf begeistert“. Jetzt aber heißt es wahlweise „Brunos bittere Bilanz“, „Ein Team voller Rätsel“ oder „Der Tiefpunkt“.
Die Ausbeute vor der kurzen Winterpause ist mehr als ernüchternd: Platz 14 und nur drei Pünktchen vom so kreuzgefährlichen Relegationsrang entfernt. Wer da noch von Europa träumt, ist ein Fantast! Nur ein Heimsieg im Olympiastadion stellt ein Armutszeugnis dar. Trainer Bruno Labbadia, der einst im April mit viel Schwung, Akribie und Enthusiasmus seine Mission begann, kommt in 23 Pflichtspielen (22 in der Liga plus die Pokal-Blamage mit 4:5 bei Eintracht Braunschweig) nur auf sieben Siege. Und das mit dem teuersten Kader der
Vereinsgeschichte. Sogar Jürgen Klinsmanns Bilanz war besser!
Die Startelf der Hertha beim jüngsten 1:4 in Freiburg war zumindest auf dem Papier prädestiniert, einen positiven Abschluss vor Weihnachten zu schaffen. Die elf Profis kosteten zusammen Ablösesummen von 77 Millionen Euro und besitzen laut „Transfermarkt.de“ einen Marktwert von insgesamt 162 Millionen Euro. Hertha BSC aber scheint den Spruch „Geld schießt Tore“ bislang ad absurdum zu führen. Sicher sehr zum Leidwesen von Großinvestor Lars Windhorst. Die vielen teuren Zugänge haben das Team nicht vorangebracht.
Die sportliche Leitung, vor allem Michael Preetz und Bruno Labbadia, muss knallhart analysieren und sich hinterfragen. Interessant wären schnelle und schlüssige Antworten auf Fragen wie diese: Haben wir das Team optimal zusammengestellt? War es richtig, auf bestimmte Profis zu verzichten, die wir eigentlich auf dem Zettel ganz oben hatten, weil wir Geld in der Pandemie aufsparen wollten? Haben wir genügend auf den Charakter der Zugänge geachtet? Warum haben wir keinen Anführer verpflichtet, nachdem mit Per Skjelbred, Salomon Kalou und Vedad Ibisevic drei Motivatoren gegangen sind? Wurde das Kommunikationsproblem, das Sprachengewirr des Multi-Kulti-Kaders unterschätzt? Oder: Warum hat sich noch immer keine vom Trainer als unglaublich wichtig beschworene Achse herausgebildet?
Dass sich die Mannschaft bei der Niederlage in Freiburg in der ersten Halbzeit laut Trainer „null an den Plan gehalten hat“, ist ein alarmierendes Zeichen. Offenbar sind die Anweisungen des Coaches verpufft.
Christian Streich, der Langzeit-Trainer des SC Freiburg, hat am Wochenende nach dem Spiel gesagt: „Hertha besitzt brutale individuelle Qualität!“ Streich hat recht. Mir ist es ein Rätsel, warum Hertha diese Vorzüge nicht auf den Platz bringt! Was mir fehlt, sind vor allem Spieler mit unbändigem Willen, mit Charisma, die die Überzeugung ausstrahlen: „Wir sind Hertha BSC! Wir sind die Hauptstadt! Wir sind stark!“ So wie es die Bayern mit ihrem „Mia san mia“ seit Jahren vorleben.
Dass Trainer und Manager gebetsmühlenartig mehr Zeit und Geduld einfordern für die Entwicklung der Mannschaft, reicht als Erklärung für den sportlichen Stillstand absolut nicht aus. Fakt ist, aus der Ansammlung hochbegabter Kicker ist noch immer keine verschworene Truppe geworden. Warum wohl?
Dem nächsten Auftritt am 2. Januar gegen Schlusslicht Schalke 04 im Olympiastadion sehe ich nun mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Rettet Hertha bei einer Niederlage gegen Gelsenkirchen etwa Tasmania aus Neukölln den Uraltrekord der Liga mit 31 sieglosen Spielen in Serie? Bei Hertha weiß man nie, was passiert.