Neue Serie: Die Väter des Hertha-Absturzes

76 Tage Klinsmann stürzten Hertha BSC in tiefe Verwirrungen

Der KURIER hat eine Rangliste des Versagens bei den Blau-Weißen erstellt. Auf Platz 10: Jürgen Klinsmann.

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Jürgen Klinsmann ließ Hertha BSC ziemlich im Regen stehen.
Jürgen Klinsmann ließ Hertha BSC ziemlich im Regen stehen.dpa/Zentralbild/Britta Pedersen

Der Niedergang von Hertha BSC deutete sich über vier Jahre an und endete mit dem Abstieg in die Zweite Bundesliga. Er ist die Folge eines kollektiven Versagens. Dennoch gibt es Protagonisten des Absturzes und Ereignisse, die den tiefen Fall beschleunigten. Auf Platz 10: Jürgen Klinsmann.

Eigentlich waren die Voraussetzungen, dass die Liaison zwischen Hertha BSC und Welt- und Europameister Jürgen Klinsmann eine erfolgreiche werden würde, durchaus exzellent. Immerhin war Klinsmanns Vater, Bäckermeister Siegfried, geboren in Frankfurt/Oder und lange Zeit in Eberswalde lebend, einst ein begeisterter Anhänger der Hertha. Und Klinsmanns erstes Bundesligaspiel, das er als achtjähriger Junge im Stadion erlebte, war das Duell zwischen dem VfB Stuttgart und Hertha BSC. „Da stand ich mit blau-weißer Fahne in der Kurve der Berliner“, erzählte Klinsmann bei seiner Präsentation als neuer Cheftrainer der Hertha.

Das passierte am 27. November 2019 und Herthas Medienraum war total überfüllt. Die Ankunft eines „Sommermärchen-Machers“ von der WM 2006 übertraf noch das Ballyhoo, das es einst bei der Vorstellung von Altmeister Otto Rehhagel als Hertha-Coach im Jahr 2012 gegeben hatte.

Preetz präsentierte Klinsmann als großen Coup für Hertha BSC

Nachdem sich Hertha vom neu installierten Cheftrainer Ante Covic in der noch äußerst turbulent werdenden Saison 2019/20 getrennt hatte – es waren gerade 12 Spieltage vorbei –, ereilte der Ruf von Manager Michael Preetz eben Jürgen Klinsmann. Der ehemalige Bundestrainer und Coach des FC Bayern München hat seinen Lebensmittelpunkt nahe Los Angeles.

Nach dem Einstieg von Unternehmer Lars Windhorst als Investor bei Hertha im Juni holte Millionen-Jongleur Windhorst Jürgen Klinsmann als seinen sportlichen Berater in den Aufsichtsrat der Hertha BSC GmbH und Co. KGaA. Doch nun war Klinsmann plötzlich als Trainer gefragt.

Preetz nannte ihn einen „außerordentlich erfolgreichen und charismatischen Fußballer, einen Mann mit enormer Strahlkraft und ausgewiesenen Fachmann“. Klinsmann sagte: „Berlin wartet auf etwas Großes“ und lobte immer wieder „den Lars“. Gemeint war der Investor, der bei seinem Einstieg für 125 Millionen Euro erst einmal 37,5 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH und Co. KGaA erwarb.

Auf dem Rasen lief es fortan unter Trainer Klinsmann durchwachsen, doch er sorgte als polyglotter Typ dafür, dass Hertha ständig in den Schlagzeilen stand. Der Trainer sprach vom „spannendsten Fußballprojekt Europas“ und wollte im Verbund mit dem eher zurückhaltenden Preetz ganz schnell ein Fußball-Wunder schaffen.

Klinsmann verkündet Hertha-Abschied per Facebook ...

Dabei aber verlor das Duo die Relationen, eben den Blick für die Realität, und holte im Winter 2020 vier Profis für insgesamt 77 Millionen Euro Ablöse – „Weltrekord“ im Wintertransferfenster. Lucas Tousart (25 Millionen Euro), Krzysztof Piatek (24 Millionen), Matheus Cunha (18 Millionen) und Santiago Ascacibar (11 Millionen) wurden mit langen, hoch dotierten Verträgen ausgestattet. Später wurde bekannt, dass Klinsmann am liebsten auch Profis wie Mario Götze, Mesut Özil, Emre Can oder Julian Draxler nach Berlin geholt hätte!

Bei seinem Debüt als Hertha-Trainer am 30. November beim 1:2 gegen Dortmund filmte Jürgen Klinsmann die Kulisse im Olympiastadion mit seinem Smartphone wie so ein Fan.
Bei seinem Debüt als Hertha-Trainer am 30. November beim 1:2 gegen Dortmund filmte Jürgen Klinsmann die Kulisse im Olympiastadion mit seinem Smartphone wie so ein Fan.dpa/Andreas Gora

Inzwischen aber nahmen die Streitigkeiten zwischen Klinsmann, Preetz und Präsident Werner Gegenbauer zu. Der Trainer forderte einen neuen, sehr lukrativen Vertrag und zahlreiche zusätzliche Kompetenzen – nach dem Vorbild der allmächtigen Manager in der englischen Premier League. Er wollte der starke Mann im Verein werden.

Doch dann passierte Unvorstellbares. Nach einer 1:3-Niederlage zu Hause gegen Mainz 05 am 8. Februar 2020 warf Klinsmann am 11. Februar völlig überraschend hin. Seinen Abgang verkündet er per Facebook. Die Vereinsführung war überrumpelt, düpiert und geschockt. Ganze 76 Tage hielt die Zusammenarbeit.

Klinsmann trat nach seinem Hertha-Abschied nach

Kurz nach seinem skandalösen Abgang flog Klinsmann als Berater von Windhorst aus dem Aufsichtsrat und am 26. Februar veröffentlichte die Sport-Bild die geheimen und eigentlich für Windhorst gedachten Aufzeichnungen von Klinsmann. Dort ließ er kein gutes Haar an Preetz und der gesamten Führungsriege und gab in meist abschätzigem Ton Interna preis. Die Profis beurteilte er nach ihrem „Mehrwert“, etwa so: Salomon Kalou: 35 Jahre, zu alt und satt, kein Mehrwert“.

Im Nachhinein waren etliche Einschätzungen und Urteile von Klinsmann fachlich nicht falsch, aber die Art und Weise verletzend. Der Abgang des 108-maligen Nationalspielers gilt als einer der unwürdigsten in der Liga-Geschichte. Der kurze Höhenrausch mit den Millionenausgaben bei Klinsmanns Intermezzo hängt Herthas aktueller Führung noch immer wie ein Klotz am Bein.

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