Land unter im Osten
Von Dresden über Jena bis Magdeburg: Wo es gegen den Abstieg geht, sind die Altmeister von hier mit dabei.

Auch wenn der 1. FC Union in der Bundesliga nunmehr sieben Spiele in Folge ohne Sieg ist, die Eisernen sind weiterhin das Aushängeschild einer ganzen Region. Nicht nur in Köpenick drückt man ihnen die Daumen für einen erfolgreichen Saison-Endspurt. Ansonsten sind die Teams aus Neufünfland im großen Fußball nicht zu beneiden. Ob in der 2. Bundesliga oder in Liga 3 – wo es gegen den Abstieg geht, sind die Altmeister von hier dicke mit dabei. Ganz hart trifft es Dynamo Dresden, weil die Schwarz-Gelben vier englische Wochen am Stück herunterreißen müssen. Das ist ungerecht, finden Legenden von einst, so Peter Ducke und Joachim Streich, Gerd Kische und Eduard Geyer. Trotzdem oder auch gerade deswegen droht Land unter im Osten.
Keine Regel ohne Ausnahme. Es gibt da dieses gallische Dorf im Erzgebirge, dort, wo sie einst drei DDR-Meistertitel feierten und Spiele im Europapokal der Landesmeister austrugen. Allein im Lößnitztal sind sie bereits am Ziel ihrer Saisonwünsche. Nach oben und, viel wichtiger, auch nach unten geht nicht mehr viel für Aue, 41 Punkte haben sie in der 2. Bundesliga. In Ruhe können sie um Präsident Helge Leonhardt und Trainer Dirk Schuster ihre dann fünfte Zweitliga-Saison in Folge planen.
Allerdings besteht die Gefahr, dass die Erzgebirgler den Osten dann allein im Bundesliga-Unterhaus vertreten. Denn Dynamo Dresden, achtmaliger DDR-Meister und nach dem Fußball-Zusammenschluss bis 1995 vier Spielzeiten in der Bundesliga dabei, droht in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Allein ein Last-Minute-Tor zum 3:2-Sieg zuletzt im Zweitliga-Kellergipfel beim Vorletzten Wehen-Wiesbaden lässt die Nachfolger von Hans-Jürgen „Dixie“ Dörner, Hans-Jürgen Kreische, Ulf Kirsten und Matthias Sammer sportlich am Leben. So ganz nebenbei haben die Veilchen aus Aue geholfen, dass die Hoffnung weiterhin greifbar ist. Mit ihrem jüngsten 1:0 gegen Karlsruhe haben sie dafür gesorgt, dass die Badener in Dynamos greifbarer Nachbarschaft bleiben.
Dass die Männer aus Elbflorenz ganz dicke im Schlamassel stecken, hat einerseits mit einer miesen Performance bis hin zur Corona-Zwangspause zu tun. Andererseits aber mit einer ziemlichen Portion Ungerechtigkeit. Die könnte dem Zweitliga-Schlusslicht noch schmerzhaft auf die Füße fallen. Weil die Dynamos wegen positiver Tests auf Covid-19 verspätet in den Re-Start gingen, müssen sie ein Härteprogramm der ganz kräftigen Art bewältigen: Nach 84 Tagen Zwangspause gibt es innerhalb von 29 Tagen neun Spiele. Ein Drittel davon – 0:2 gegen Stuttgart, 0:3 in Hannover, 3:2 bei Wehen-Wiesbaden – ist absolviert. Heute, 18.30 Uhr, folgt gegen Greuther Fürth Teil 4 und am Freitag gegen den HSV Teil 5.
Zeit zum Luftholen, zum Durchpusten ist eher Pustekuchen.
„Das ist, jeder rund um Dynamo empfindet das so, eine Ungerechtigkeit“, findet Eduard Geyer. Der letzte DDR-Nationaltrainer lässt kein gutes Haar an der Entscheidung, die Dynamos ein solches Hammer-Programm durchpeitschen zu lassen: „Wenn man unten steht, hat man wahrscheinlich noch weniger Argumente als sonst. Trotzdem ist es ungerecht. Da ahnt doch jeder, dass das nicht reell zugeht. Bei alldem ist und bleibt ein fader Beigeschmack.“
Für Peter Ducke, als „Schwarzer Peter“ eine Stürmer-Legende, ist das alles „eine unglaubliche Ungerechtigkeit. Ich weiß nicht, was in den Köpfen derjenigen vorgegangen ist, die das entschieden haben.“ Der einst quirlige Angreifer aus Jena geht gar noch weiter und sagt: „Ich gucke kaum noch Bundesliga, denn vom Osten hörst du nichts mehr, der ist, so mein Eindruck, einfach nicht mehr existent.“ Dabei hat es Ducke besonders schwer, denn sein FC Carl Zeiss sieht als abgeschlagenes Tabellen-Schlusslicht der 3. Liga seine nähere Zukunft sogar nur in der Regionalliga. Dass der dreimalige DDR-Meister dann nur noch in der vierthöchsten Spielklasse kickt, daran müssen sie sich in Thüringen erst einmal gewöhnen.
Für Dresden jedoch geht es um viel mehr. Es geht um die Zugehörigkeit zum 36er-Klub der Profivereine. Dabei sucht Gerd Kische, das Hansa-Rostock-Idol, die Schuld nicht allein bei der Deutschen Fußball-Liga: „Bei Dynamo haben sie, auch dass sie den Vertrag von Ralf Minge als Geschäftsführer auslaufen lassen, bestimmt viel Mist gebaut. Aber dass eine Stadt mit 500 000 Einwohnern, die auch noch fußballverrückt ist, insgesamt nicht in der Lage ist, eine stabile Größe wenigstens in der 2. Liga zu sein, will mir nicht in den Kopf.“
Dass die Dynamos „akut gefährdet“ sind, weiß natürlich auch Joachim Streich. Der Rekord-Nationalspieler der DDR sieht indes eine ganz andere Gefahr: „Es geht auch um das Drum und Dran. Mit einem Abstieg bricht einiges auseinander. Der Weg zurück, das sehe ich gerade am 1. FC Magdeburg, ist alles andere als leicht.“ Dabei sind für den viermaligen Torschützenkönig der DDR-Oberliga nicht einmal die englischen Wochen das Problem, „denn die hat jeder Spieler gern. Das viel größere Problem ist, dass die Spieler kein Training hatten und keinen Wettkampf und so auch keine Spielfitness haben können.“
Das womöglich dicke Ende steht gerade den Dynamos noch bevor. In der kommenden Woche haben sie einen Auswärtsritt vor der Brust, der einmalig ist: Am Montag spielen sie bei Fast-Aufsteiger Bielefeld, am Donnerstag in Kiel und am Sonntag in Sandhausen. Das sind etwas mehr als 2000 (!) Kilometer. „Da kommst du doch aus dem Mannschaftsbus gar nicht mehr raus“, findet Streich, „und dann sollst du fit sein für das nächste Spiel? Eigentlich unmöglich.“ Für Geyer gar ist das „eine Frechheit, ein Unding, einfach nicht fair. Aber das kann Dynamo nicht ins Kalkül ziehen, denn Dresden hat keine Lobby wie Bayern München oder Borussia Dortmund.“
Schon gar nicht haben sie in der 3. Liga eine, wo nicht nur die Vereine aus dem Osten für einen Saison-Abbruch waren. Bis auf Hansa Rostock, den Tabellenneunten mit halbwegs Tuchfühlung zu den Aufstiegsplätzen, ist Jena fast schon unten durch und mit Halle, Zwickau, Chemnitz und Magdeburg kämpfen die übrigen vier Teams aus der einstigen DDR-Oberliga gegen den Abstieg.
Läuft alles schief, ist am Ende des Monats tatsächlich Land unter im Osten.