Jena: Aus dem „Paradies“ in die Hölle
Vor einem Jahr noch vom Glück geküsst, steht der FC Carl Zeiss Jena mal wieder vor einem Neuanfang.

Was nur fanden hier für Spiele statt, im Ernst-Abbe-Sportfeld, das inmitten der grünen Oase ziemlich im Zentrum von Jena liegt und das sie „Paradies“ nennen. Das große Ajax Amsterdam mit Johan Cruyff hat hier verloren, und US Cagliari mit der Torwart-Katze Enrico Albertosi, Real Madrid mit dem späteren spanischen Weltmeistertrainer Vicente del Bosque hat nur ein 0:0 geholt, und Benfica Lissabon war gleich zweimal da, das erste Mal mit dem legendären Eusebio, das zweite Mal mit Abwehr-Kante Humberto, gewonnen haben die Portugiesen aber auch nicht. Die größte Magie jedoch geht aus vom Wunder gegen die AS Roma, die stolze, die mit Carlo Ancelotti 0:4 unterging und der FC Carl Zeiss damit einen 0:3-Rückstand umbog. Nur ist das Geschichte aus einem fernen Jahrhundert und im Paradies gehen sie inzwischen durch die Hölle.
Von Europa können sie nur noch an den Stammtischen träumen. Die Realität ist nach dem Abstieg aus der Dritten Liga in die Regionalliga nach einer Saison zum Davonlaufen, die die Thüringer als abgeschlagenes Schlusslicht beendet haben und in der sie bereits sechs Spieltage vor dem Ende als Absteiger feststanden, für die Stars von einst kaum zu ertragen. „Ich gehe gar nicht mehr ins Stadion“, sagt Peter Ducke, in jungen Jahren einer der besten Mittelstürmer Europas, „was soll ich da? Wir gucken uns auf der Tribüne gegenseitig an und verstehen die Welt nicht mehr“.
Die Blau-Gelben, die in der DDR dreimal Meister waren und viermal Pokalsieger, die mit Georg Buschner und Hans Meyer zwei Trainer-Ikonen hatten, und die als eine von drei Mannschaften aus Deutschlands Osten ein Finale im Europapokal erreichten (1981, als im Cup der Pokalsieger das entscheidende 1:2 gegen Dynamo Tiflis erst drei Minuten vor dem Ende fiel), sind schon lange nicht mehr das, was sie mal waren. Sie sind, schlimm genug bei den Ansprüchen, nur noch auf Augenhöhe mit Meuselwitz und Halberstadt. In den Jahren nach der Wende haben sie nicht einmal mit den Klub-Ikonen die Kurve bekommen, als Eberhard Vogel, Jürgen Raab und gleich mehrere Male Lothar Kurbjuweit die sportliche Verantwortung übernommen hatten.
Nun also Viertklassigkeit, zum zweiten Mal schon. Trotz des Einstiegs des belgischen Investors Ronald Duchatelet, der 2014 kam und seitdem 49,98 Prozent der Anteile am Verein hält, will und will es mit dem Durchbruch nicht klappen. Duchatelet besitzt in Erfurt ein Halbleiterwerk und Chris Förster, dortiger Finanzvorstand und bekennender FCCZ-Fan, hatte seinen Chef von einem Engagement beim Traditionsverein überzeugt. Inzwischen ist Förster Leiter der Vereins-Geschäftsstelle, und er sitzt an den Hebeln, kommt aber nicht aus dem Fußball.
Das muss nicht immer schaden, wird ihm aber hinter vorgehaltener Hand angekreidet. Was jedoch allen die Stimmung vermiest, ist die allgemeine Situation. Die kratzt mächtig am Selbstwertgefühl. „In Jena sind sie jetzt dort, wo sie nie hinwollten“, sagt Lutz Lindemann, ehemaliger Nationalspieler und vor ein paar Jahren sogar für einige Zeit Präsident des Vereins. Das Urteil des Experten, der beim Mitteldeutschen Rundfunk die Spiele der Dritten Liga analysiert, fällt vernichtend aus: „Sie haben die Saison verschenkt.“ Und: „Es gab und gibt immer mal wieder Störmanöver. Da ist der eine gegen den anderen, der wieder gegen einen Dritten und zum Schluss alle gegen jeden.“
Dabei war vor einem Jahr neue Euphorie eingezogen. In einem wahren Kraftakt hatten sie den damals schon so gut wie feststehenden Abstieg mit sechs Siegen aus den letzten sieben Spielen gerade so abgewendet. Lukas Kwasniok, der jüngst Geschichte geschrieben hat, indem er den 1. FC Saarbrücken als ersten Viertligisten in ein DFB-Pokal-Halbfinale führte, hatte, wie Lindemann sagt, „den Schalter umgelegt und das Unmögliche möglich gemacht“. Die Thüringer fühlten sich von Fortuna geküsst.
„König Kwasniok“, wie der Trainer nach dem Coup genannt wurde, wollte hoch hinaus. Von einer „schmerzfreien Saison“ hatte er am Anfang geträumt und sogar „den Platz an der Sonne“ nicht für ganz utopisch gehalten. Nur bekam die Sache einen Pferdefuß. „Man sollte das Glück nicht ein zweites Mal herausfordern“, glaubt Lindemann, „es gab zu Kwasniok und Förster kein Korrektiv. Sie haben Talente geholt, 18, 19 Jahre jung, und wollten damit Großes erreichen. Das ging nicht auf. Das Ergebnis: Carl Zeiss hat im deutschen Profifußball das schlechteste Ergebnis eingefahren und steht vor einem Haufen von Problemen.“ Noch im Herbst, die Jenaer hatten aus ihren ersten zehn Spielen gerade ein Pünktchen geholt, war Kwasniok am Ende. Rico Schmitt übernahm, hielt sich aber auch nicht lange, und René Klingbeil musste das alles ausbaden.
Was bleibt, ist der x-te Neuanfang. Wieder setzen sie auf den Nachwuchs. Allen voran treibt der Investor sie dazu. „Das ist nun einmal so“, ist Lindemann nicht überrascht, „wer das Geld gibt, bestimmt die Musik, die gespielt wird.“ Duchatelet nimmt dafür in Kauf, dass es mit der Rückkehr in die 3. Liga notfalls erneut etwas länger dauert. Beim ersten Mal waren es gefühlt ewige fünf Jahre. Das schreckt den Belgier nicht, vielmehr sagt er: „Wer versucht, die Rückkehr übers Knie zu brechen, wird in vielen Fällen enttäuscht werden. Mir ist es lieber, wenn wir mit eigenen Jugendlichen gut aufbauen.“ Mit dem eigenen Nachwuchs-Leistungszentrum „haben wir in Jena dafür exzellente Voraussetzungen“.
Mittlerweile haben sie mit Dirk Kunert, den sie von Regionalligist Berliner AK losgeeist haben, obwohl er dort gerade seinen Vertrag verlängert hatte, einen neuen Trainer und mit Tobias Werner einen Sportdirektor, der zudem aus dem eigenen Stall kommt. Vor allem Kunert gilt als einer, der mit Talenten gut kann. Die B-Junioren von Hertha BSC führte er einst zu zwei deutschen Meistertiteln und die A-Junioren des VfL Wolfsburg zu einem Meistertriumph. Jetzt sagt er: „Mich reizt es, beim Gestalten des Neuaufbaus mit anzupacken und etwas zu entwickeln.“
Ein neues Stadion wollen sie übrigens auch. Damit die Legende mit den fulminanten Schlachten im Europapokal nicht noch mehr auf die neue Generation drückt und sie aus der Hölle ein wenig wieder ins „Paradies“ schauen können. Hoffentlich …