Im Konzert der Großen: Frankfurts Abwehr attackiert im Uefa-Cup-Duell Hansi Müller vom VfB Stuttgart.
Im Konzert der Großen: Frankfurts Abwehr attackiert im Uefa-Cup-Duell Hansi Müller vom VfB Stuttgart. Foto: Imago Images

Victoria oder Viktoria heißt eigentlich Siegerin, egal ob mit „c“ oder mit „k“. Beide Varianten hatten die Fußballer des ehemaligen FC Vorwärts Frankfurt nach 1990 im Vereinsnamen ausprobiert, weder die eine noch die andere brachte den erhofften Erfolg. Dabei hatte es tatsächlich eine Zeit gegeben, lange vor der deutschen Vereinigung, als sich die Armee-Kicker von Titel zu Titel gespielt und dabei regelrecht gezaubert hatten. Mittlerweile jedoch gibt es beim ehemals so stolzen Verein an der Oder fast nur noch Rohrkrepierer, und Viktoria ist aus dem Vereinsnamen auch wieder verschwunden.

Noch heute treffen sie sich einmal im Jahr. Dann wird in alten Zeiten geschwelgt. Mancher Sieg wird dabei verklärt, manche Niederlage bagatellisiert, das Wichtigste aber ist, dass sie sich noch haben. Zumindest die, die es noch können, halten die Tradition des FCV am Leben. Allerdings sind sie eine aussterbende Spezies. Die gelb-roten Füchse sind nämlich nicht mehr auf der Jagd.

Rekordmeister waren sie mal. In den ersten 20 Jahren der DDR-Oberliga landete das Team der Nationalen Volksarmee, in dem alle Spieler einen militärischen Dienstgrad hatten, der mit jedem Erfolg elitärer wurde, sechsmal auf Rang 1, zuletzt 1969. Als Vorwärts Leipzig nach Berlin gekommen und im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg zu Hause, spielte die Uniform jedoch keine Rolle. Die Mannschaft wurde von den Fans an ihrer Leistung gemessen, und sie spielte in ihren gelben Trikots und ihren roten Hosen begeisternden Fußball, sie hatte mit Jürgen Nöldner den Fußballer des Jahres 1966 in ihren Reihen und etliche Nationalspieler dazu.

Den ersten gewaltigen Knacks hatte es gegeben, als der FC Vorwärts an die Oder „delegiert“, also mal wieder politisch zwangsumgesiedelt, wurde. Fortan, es war das Jahr 1971, mussten sie kleinere Brötchen backen, erreichten den einen oder anderen Achtungserfolg, hatten mit Lothar Hause weiterhin einen Spieler internationalen Formats als Kapitän, mit Erich Hamann den Passgeber für das legendäre Sparwasser-Tor zum 1:0 der DDR bei der WM 1974 gegen den späteren Weltmeister Bundesrepublik Deutschland und mit Frieder Andrich einen Dauerbrenner. Sie qualifizierten sich das eine oder andere Mal sogar für den Uefa-Pokal, wurden aber genauso in die Zweitklassigkeit durchgereicht.

„Das war die meiste Zeit gar nicht so schlecht“, erinnert sich Frieder Andrich, Onkel von Robert, dem Mittelfeld-Malocher des 1. FC Union, „und mit heute sowieso nicht zu vergleichen. Wir erreichten zwar nicht mehr die Erfolge, die wir in Berlin hatten, bekamen es international aber immerhin mit europäischen Spitzenteams wie Juventus Turin, Werder Bremen, VfB Stuttgart und PSV Eindhoven zu tun. Damals waren 15.000 Zuschauer im Stadion und die Hütte war zum Bersten voll. Heute, in der Brandenburgliga, sind es vielleicht mal 500.“

Etliche Jahre war Andrich Trainer der Nachfolger des FC Vorwärts, die zuerst FC Victoria 91 (mit „c“ und damit das FCV erhalten bleibt) hießen, dann Frankfurter FC Viktoria 91 (mit „k“), seit 2012 jedoch, seit dem Zusammenschluss mit dem MSV Eintracht Frankfurt, steht den jeweiligen Gegnern der 1. FC Frankfurt (Oder) E.V. gegenüber, wobei das „E“ für Eintracht steht und das „V“ für Viktoria, in den Gedanken und Gefühlen mancher wohl noch immer auch für Vorwärts.

Die Turbulenzen, die es mit dem Namen gab, gab es auch mit dem sportlichen Abschneiden. In den Kampf um die Plätze in der Bundesliga griffen die Armee-Kicker erst gar nicht ein. Als es nämlich um die Wurst ging, waren sie mal wieder ganz hintendran. Als abgeschlagenes Tabellen-Schlusslicht schafften sie es nicht einmal in die Qualifikation um die beiden letzten Plätze in der 2. Bundesliga. Rainer Nachtigall, der für den FC Vorwärts elf Länderspiele bestritt und später Journalist wurde, überschrieb seinen Abschiedsartikel mit „Mein Verein ist tot!“

Tot ist er nicht ganz, er lebt noch, wenngleich ein sportlich eher tristes Dasein in Brandenburgs höchster Amateurspielklasse, dort, wo auch Grün-Weiß Lübben spielt und Falkensee-Finkenkrug, TuS Sachsenhausen und Eintracht Miersdorf/Zeuthen. Es ist weit weg von den Ansprüchen von damals, und dabei hatten sie noch ganz viel Glück, dass sie nicht gleich wieder in der Brandenburgliga gelandet sind, in der sie vor ihrer mittlerweile 21. (!) Saison stehen. Als sie 2015 nach elf Jahren endlich wieder in der Oberliga Nordost spielen durften, stiegen sie prompt wieder ab. Eigentlich. Einzig die Insolvenz des 1. FC Neubrandenburg bedeutete die Rettung. Ein Jahr später hatte es sportlich wieder nicht gereicht: Letzter mit neun Punkten Rückstand auf den Vorletzten, durchgefallen mit Pauken und Trompeten. Und doch wieder nicht. Weil sich Germania Schöneiche aus der Oberliga sowie der FC Schönberg und die Zweite von RB Leipzig aus der Regionalliga zurückgezogen hatten und von dort Jena in die 3. Liga aufgestiegen war, durfte es der 1. FC Frankfurt ein drittes Mal probieren – 2017/18 jedoch kam keine Hilfe von außen, kein Rückzug eines anderen Vereins, keine Insolvenz und kein ungeplanter Aufstieg.

Trotzdem versucht Präsident Markus Derling den einen oder anderen Reizpunkt zu setzen, auch wenn auf dem Rasen, wie manche der wenigen Zuschauer bemerken, ziemlich oft regelrechter „Totentanz“ herrsche. Jüngst lud Derling einige Stars von damals ein, darunter Gerd Schuth. Die ehemalige Abwehr-Kante hält als gute Seele die Tradition am Leben, organisiert manche Zusammenkünfte. Auch Frieder Andrich war dem Ruf des Präsidenten gefolgt und lobt den Versuch, anziehender und ein wenig attraktiver zu werden, macht sich andererseits aber nichts vor. „Es ist noch immer mein Verein, das ja“, sagt Andrich, „aber es ist ein kleiner Verein geworden, zu dem kaum noch ein Mensch geht. Die Tribüne des Stadions haben sie neu gemacht, die ist ein Schmuckstück, allerdings das einzige. Vieles andere schlummert irgendwie so vor sich hin …“

Fast klingt es so, als ob die gelb-roten Füchse nicht nur nicht auf der Jagd seien, sondern sich an der Oder fast „Gute Nacht“ sagen.