Good Old England träumt von neuen Helden
Jetzt, da der Deutschland-Fluch besiegt ist, ist das Mutterland des Fußballs reif für seinen zweiten Titel.

Seinen letzten, ach, seinen einzigen großen Titel hat Old England gegen Deutschland geholt. Damals, 1966, als der DFB-Kapitän Uwe Seeler hieß und Franz Beckenbauer als 20-jähriger Benjamin sein erstes Turnier spielte. Es war die Stunde des Wembley-Tores, als der Ball, geschossen von Geoffrey Hurst, nach schwarz-rot-goldener Sicht nie und nimmer hinter der Linie war, das Nicht-oder-doch-Tor trotzdem zählte, dem Mutterland des Fußballs zum 4:2 verhalf und den WM-Triumph brachte. Den, an dem sie in London und Manchester, Liverpool und Leicester, Birmingham, Wolverhampton, Newcastle und Southampton noch immer alle anderen Generationen messen.
Seitdem ist das Wasser 55 Jahre durch die Themse geflossen, es wurden 26 große Titel vergeben, 13 bei Welt- und 13 bei Europameisterschaften, vielerorts haben goldene Jahrgänge ihre Spuren hinterlassen und ihre Legenden wurden gefeiert, es hat Siege von Favoriten gegeben und Sensationen durch krasseste Außenseiter, nur die Three Lions, Englands Löwen, brachten nie wieder etwas Grandioses auf die Reihe. Nicht einmal in ein Endspiel haben sie es geschafft. Kaum einer ist schöner und öfter gescheitert als die Erfinder dieses Sports.
Here he is, front page of The Sun 👍 pic.twitter.com/3veJy52byk
— JD (@JackieD86388657) June 30, 2021
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Zeit der Rache für 1966 endgültig vorbei
Schuld daran war einmal die „Hand Gottes“, mehrmals der verdammte Fluch beim Elfmeterschießen, am häufigsten aber die Deutschen. Als wollten sie Rache nehmen für damals, als England-Kapitän Bobby Moore mit der „Goldenen Göttin“ schmuste, die Brüder Bobby und Jack Charlton, der eine ein genialer Kreativmann, der andere eine eisenharte Abwehr-Kante, der kurios-verrückte Nobby Stiles und der torhungrige Hurst den Mittelpunkt des Fußball-Universums bildeten.
Schon 1970 entthronten Gerd Müller und noch immer Uwe Seeler den Titelverteidiger, der in einem epischen Viertelfinale schon 2:0 führte, trotzdem 2:3 k.o. ging. 1982, die Helden hier hießen längst Paul Breitner und Karl-Heinz Rummenigge, da Peter Shilton und Bryan Robson, setzte sich in der 2. Finalrunde Deutschland durch, England musste nach Hause. Beim deutschen Titelgewinn 1990, die ganz große Zeit von Lothar Matthäus und Jürgen Klinsmann sowie von Gary Lineker und Paul „Gazza“ Gascoigne, begann im Halbfinale das englische Elfer-Trauma. 2010 in Südafrika kam im erst neunten Länderspiel von Manuel Neuer ein klares Tor von Frank Lampard dazu, das im Gegensatz zum Wembley-Tor wirklich eines war, dennoch nicht zählte, und England trotz eines Wayne Rooney das 1:4-Aus im Achtelfinale brachte. Von dem Elfmeter-Drama bei der EM 1996 ganz zu schweigen.
Wer durch etliche Generationen hindurch eine derartige Menge an sportlichem Leid gegen den immer selben Gegner hinnehmen muss, könnte glatt verzweifeln. Er könnte den Fußball-Gott verfluchen und sich selbst auch, weil die Engländer es ja waren, die die Regeln erfanden, nach denen sie immer und immer wieder ihre Grenzen aufgezeigt bekamen. Vielleicht auch hätten sie dem Torwart eine andere Rolle zuordnen sollen. An dem, wohlgemerkt an dem eigenen, sind sie hin und wieder auch verzweifelt.
Sogar Jordan Pickford, ihre jetzige Nummer 1, kennt das, gegen das DFB-Team in einem wichtigen, einem K.o.-Spiel, den Kürzeren zu ziehen: 2017, EM-Halbfinale der U 21, die Jungs von Trainer Stefan Kuntz gewinnen nicht nur so, sie gewinnen im Elfmeterschießen(!) – und werden danach Europameister.
England siegt über eigene Vergangenheit
Nun, endlich, endlich, haben sie diesen Fluch besiegt. Sie haben ihr Trauma bewältigt und regelrecht die Geister vertrieben. Dieses 2:0 gegen Deutschland im letzten Spiel von Jogi Löw ist in erster Linie auch ein Sieg über ihre Vergangenheit und ein Triumph über sich selbst. Was jetzt noch kommt, angefangen mit dem Viertelfinale gegen die Ukraine am Sonnabend in Rom, ist nicht weniger brisant, doch den undankbarsten Gegner haben die „drei Löwen“ schon mal weggebissen. Die Halbfinals und das Finale finden ohnehin in Wembley statt. Genau dort, wo der Weg einst zur „Goldenen Göttin“ führte.
Wie weit diese Zeit zurückliegt, ist regelrecht gespenstisch. Die einstigen Zwillingstürme des Stadions sind nach dem Umbau nicht mehr da und von der damaligen WM-Final-Elf leben neben Bobby Charlton und Geoffrey Hurst nur noch George Cohen und Roger Hunt. Umso mehr ist die Zeit reif für neue Helden. Sie könnten gut Harry Kane, Raheem Sterling, Marcus Rashford und vielleicht auch Jude Bellingham heißen.