Belgiens Romelu Lukaku (l.) kniet vor dem Spiel gegen Russland und streckt eine Faust als Protestzeichen nach oben.
Belgiens Romelu Lukaku (l.) kniet vor dem Spiel gegen Russland und streckt eine Faust als Protestzeichen nach oben. dpa/Dirk Waem

Russlands Trainer Stanislaw Tschertschessow hätte nach dem 0:3 gegen Belgien ein Zeichen setzen können. Doch der Ex-Bundesligaprofi von Dynamo Dresden (1993 bis 1995) verpasste die großartige Chance. Auf die Frage, wie er das Knien der Belgier als Zeichen gegen Rassismus bewerte, antwortete der 57-Jährige unwirsch: „Das ist keine Frage, die mit Fußball zu tun hat. Wenn Sie eine haben, stellen Sie mir dazu eine.“

Die Belgier um Torjäger Romelu Lukaku sowie Referee Antonio Mateu Lahoz (Spanien) waren vorm Anpfiff in St. Petersburg auf die Knie gegangen. Inter-Star Lukaku hob dazu die Faust. In der russischen Arena waren daraufhin deutliche Pfiffe und Buhrufe zu vernehmen. Kritik an den Fans üben wollte Tschertschessow offenbar nicht. Chance verpasst.

Vereinzelte Buhrufe in London

Kein Einzelfall dieser Tage. England träumt vom Titelgewinn im eigenen Land. Doch die Diskussionen um den Kniefall trüben die EM-Stimmung auf der Insel. Vor den Testspielen gegen Österreich und Rumänien buhten einige Fans, als die Three Lions das Knie senkten.

Worauf der englische Fußballverband FA aktiv nach vorne ging: „Diejenigen, die diese Geste ablehnen, sollten sich vor Augen führen, welche Botschaft sie damit an die Spieler senden, die sie unterstützen.“ In einem 100-Sekunden-Video vom Nationalteam hieß es: „Wenn wir die Kommentare lesen, die Emojis sehen oder die Buhrufe hören, dann leiden wir zusammen. Hier geht es nicht um Politik. Das ist nicht neu. Hier geht es um Menschlichkeit. Gemeinschaft. Gleichberechtigung.“

Sonntag vorm Kick gegen Kroatien gab es ein ähnliches Bild. Harry Kane und seine Mitspieler im Wembley-Stadion vorm Anpfiff für wenige Sekunden mit einem Knie auf den Boden ruhten, buhten einige Unverbesserliche der bis zu 22.500 Zuschauer. Die Buhrufe gingen jedoch im lauten Beifall der meisten Fans unter.

Einige Ewiggestrige lehnen diese Geste ab und versuchen sich hinter dem Argument zu verstecken, das Politik im Sport nichts zu suchen habe. Dabei ist das Leben an sich immer politisch. Lediglich parteipolitisch sollte es in den Stadien nicht sein.

Englands Spieler und auch Schiedsrichter Daniele Orsato (Italien) setzten ein Zeichen gegen den Rassismus.
Englands Spieler und auch Schiedsrichter Daniele Orsato (Italien) setzten ein Zeichen gegen den Rassismus. imago/Kieran McManus/BPI/Shutterstock

Uefa fordert Respekt

Das heutige Niederknien, jahrhundertelang nur eine klassische Demutsgeste, hatte seinen Ursprung in den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko. Der Sieger des 200-m-Laufs Tommie Smith und der Drittplatzierte John Carlos stehen auf dem Siegerpodest. Bei den ersten Tönen von The Star-Spangled Banner recken die beiden schwarzen Athleten ihre Faust in den Himmel. Das Signal der „Black Power“-Bewegung. Beide ignorieren damit die Anweisung des Internationalen Olympischen Komitees, die Politik aus dem Sport herauszuhalten.

Das IOC sanktioniert diesen Protest, die beiden US-Amerikaner werden aus dem olympischen Dorf geworfen. Heute sind die Fußballverbände da einen Schritt weiter. „Wir bitten die Zuschauer dringend, den Spielern und Mannschaften, die auf die Knie gehen, Respekt zu zeigen“, heißt es in einer Verlautbarung der Uefa, die zudem auf ihre Null-Toleranz-Politik gegenüber Rassismus verweist. Jeder dürfe sich für die Gleichberechtigung der Menschen einsetzen.

Einen weltweiten Drive bekam diese Form der Protestbewegung nach dem Tod des US-Amerikaners George Floyd durch Polizeigewalt vor rund einem Jahr. Der American-Football-Profi Colin Kaepernick, der seit 2016 als Zeichen beim Abspielen der US-Hymne immer auf die Knie ging und den sein Protest letztlich seine Karriere kostete, wurde zur Ikone der „Black Lives Matter“-Bewegung. Eine Fotomontage, auf der er in voller Montur auf den Knien und daneben George Floyd zu sehen ist, der am Boden liegend ein Polizisten-Knie in seinem Nacken hat, erregte weltweites Aufsehen. „That is … why“ war die Montage betitelt. Auf Deutsch: „Das ist ... der Grund“.

Die Geste fand Anklang bei zahlreichen Sportlern, die sie künftig imitierten im Geiste eines gewaltfreien, friedlichen Protestes. Es ist nur traurig, dass es heutzutage immer noch solcher Gesten bedarf und Rassismus nicht längst überwunden ist.