Der KURIER auf Maradonas Spuren
Diego, DDR und Diktatoren
Unser Autor Andreas Baingo hat sechs Geschichten aufgestöbert, die Sie vielleicht noch nicht über den Weltstar gewusst haben

Mit Diego Armando Maradona ist einer der größten Fußballer aller Zeiten gegangen. 60 Jahre und kaum vier Wochen ist „El pibe de oro“, der Goldjunge, nur geworden. Argentinien trauert und mit den Gauchos die ganze Fußballwelt. Maradonas Leben waren Tore und Tragödien, Kunststücke und Krisen, Doppelpässe und Drogen, Weltklasse und Wahnsinn. KURIER-Autor Andreas Baingo hat aufgestöbert, was Sie vielleicht noch nicht über den Zauberer zwischen Genie und Größenwahn wussten. Es ist Diegos Geschichte von Drogen, DDR und Diktatoren.
Maradona als Messias
Vedi Napoli e poi muori, auf Deutsch: Neapel sehen und sterben – das trifft auf den göttlichen Maradona im Frühjahr 1984 erst einmal nicht zu, dabei liegt die Metropole im Süden Italiens da wie tot. Der letzte Ausbruch des Vesuvs war zwar drei Jahre her, mindestens 20.000 waren trotzdem obdachlos, die Arbeitslosenquote lag bei 40 Prozent. Da kommt für die damals unverschämt hohe Ablöse von 13 Milliarden Lire oder 18 Millionen Dollar mit dem Zauberfuß der Messias. Weil der Deal an einer von Barca geforderten Kaution von 600.000 Dollar in bar zu scheitern drohte, wollten sich tausend Tifosi auf den Weg nach Barcelona machen, jeder mit einer Million Lire in der Tasche, der damals maximalen Summe, die man ausführen durfte, um das Ding zu stemmen. Dann übernahmen doch vier Banken und am 5. Juli 1985 begann im Stadio San Paolo das Märchen von Messias Maradona.
Freundschaft zu Fidel
Cuba si, Yankee no – die Unterstützung Kubas und die Ablehnung des Einflusses der US-Amerikaner auf die Florida vorgelagerte Karibikinsel waren Maradona nahezu eine Herzensangelegenheit. Er bewunderte den jahrelangen kubanischen Präsidenten, pflegte eine Freundschaft zu Fidel und wurde in Havanna ärztlich betreut und unterzog sich dort mehreren Entziehungskuren. Maradona pries Castro als Größten der Geschichte, hatte Hochachtung vor dessen revolutionärer Leistung und tauschte sich mit Fidel in Briefen aus. Wie Castro, so starb Maradona ebenso an einem 25. November, nur vier Jahre später als der und 30 Jahre jünger. Gern sah Diego sich als einer wie Che Guevara, Castros berühmter Mitkämpfer während der kubanischen Revolution. Nach einem Besuch in Venezuela beim damaligen Präsidenten Hugo Chavez nannte Maradona sich einen „Chavisten“. Auch mit dessen Nachfolger Nicolas Maduro war er ein Herz und eine Seele. Zudem begab er sich in die Nähe von Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow und tauchte in Weißrussland im Umfeld von Alexander Lukaschenko auf.
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Lockerheit in Leipzig
Es ist Herbst 1988. Von Montagsdemonstrationen ist in Leipzig noch nichts zu merken, trotzdem ist die Innenstadt proppevoll. 80.000 Fans pilgern ins Zentralstadion. Im Uefa-Cup des 1. FC Lokomotive gegen Neapel wollen sie neben ihren Lieblingen nur einen sehen: Maradona. Als Letzter kommt der Superstar aus dem Spielertunnel, schnürt sich fotogen noch einmal seine Töppen und genießt das Blitzlichtgewitter um sich herum. Im Spiel, beim 1:1, ist er auch wegen seines Bewachers Ronald Kreer nicht sonderlich auffällig. Tags zuvor ist Maradona noch lockerer, im Hotel gewährt er dem DDR-Fernsehen ein spontanes Interview und lässt sich nicht einmal aus der Ruhe bringen, als aus der Lobby das Signal kommt: „Am Telefon ist die Frau von Herrn Maradona …“
Interview mit einem Idol
Zu DDR-Zeiten einfach so nach Neapel reisen und für das Fernsehen einen Beitrag über Maradona drehen mitsamt längerem Interview? Vergessen Sie es! Zu teuer, zu wenig linientreu und überhaupt. Einer hat es doch versucht und es ist ihm gelungen: Gottfried Weise. Sein Argument: Wenn wir für Stars wie Mireille Mathieu im „Kessel Buntes“, der Kult-Unterhaltung am Sonnabendabend, fünfstellige Summen ausgeben, warum dann nicht mal auch für eine Sportsendung? Die überraschende Antwort: Genehmigt! Weise düst los, wartet mit einem italienischen Kameramann vorm „Campo Paradiso“, dem Trainingsgelände des SSC Neapel, hört Sirenengeheul aus einer schwarzen Polizeilimousine, dahinter Maradonas Mercedes, abgeschirmt von einem Jeep mit vier persönlichen Leibwächtern. Das Interview schlägt ein, Maradona weicht keiner Frage aus und antwortet ziemlich listig auf die Frage nach seiner „Hand Gottes“: „Es war ein wenig der Kopf und ein wenig die Hand. Es war der ganze Maradona.“
In der Mühle der Mafia
Die Fans waren aus dem Häuschen, als der SSC Neapel 1987 Meister geworden war, zum ersten Mal in seiner 61-jährigen Vereinsgeschichte. Nur die Camorra, die neapolitanische Mafia, hatte ein Problem. Im Toto Nero, einem ziemlich populären Schwarzmarkt-Gewinnspiel, hatte sie 16:1 gegen Napolis Titelgewinn gewettet und rund 100 Millionen D-Mark in den Sand gesetzt. Auch ein Jahr später deutete bei einem Fünf-Punkte-Vorsprung bis kurz vor Saisonende alles auf einen weiteren Titelgewinn hin. Als Neapel aus den letzten fünf Spielen nur noch einen Punkt holte und hinter dem AC Mailand Zweiter wurde, tauchten sofort Gerüchte auf, Mafiosi, denen erneut hohe Wettverluste drohten, hätten Maradona bedroht, eingeschüchtert und letztlich bestochen.
Muskelstretching in Magdeburg
Maradona ist 22 und spielt die zweite Saison beim FC Barcelona, der im europäischen Pokalsiegercup beim 1. FC Magdeburg antritt. Einer, der im damaligen Ernst-Grube-Stadion sitzt und als Oberligatrainer von Stahl Brandenburg bei einem Weltklasseteam aus nächster Nähe Praxis studiert, ist Eckhard Düwiger. Noch heute sagt der 73-jährige Berliner: „Ich war fasziniert von seinem Aufwärmen und war fest davon überzeugt, dass er sich mit dem ersten Antritt mindestens eine Zerrung holt.“ Denkste! Barcelona gewinnt 5:1 und Maradona erzielt drei Tore.