Endlich wieder Leinen los!
Nicht mal Freizeitkapitäne konnten während des Lockdowns aufs Wasser oder zu ihren Booten. Das ändert sich endlich.

Berlin hat mehr Brücken als Venedig und ist mit 108 Segelvereinen Hauptstadt der Segler. Doch selbst für Mitglieder waren die Vereinsheime im März und April geschlossen. Nicht mal Freizeitkapitäne konnten während des Lockdowns aufs Wasser oder zu ihren Booten. An Regatten oder Leistungssport ist nicht ansatzweise zu denken gewesen. Wegen Corona fiel die Saison bisher komplett ins Wasser. Doch jetzt hat der Senat den Kontaktsport erlaubt. Für Tausende Segler heißt es endlich: Leinen los!
So wie für Emilia Beyer. Sie schiebt glücklich ihr Boot ins Wasser. Am Verein Seglerhaus am Wannsee ist wieder Trainingslager für Kinder und Jugendliche. Normalerweise wäre die Segelsaison im Frühjahr gestartet, mit den ersten Wettkämpfen. Doch dieses Jahr lief es wegen der Pandemie nur stufenweise: Mitglieder konnten erst Ende April wieder aufs Gelände. Das Training im Klub begann dann Ende Mai, ganz vorsichtig. Seit 13. Juli ist laut Senatsbeschluss Normalbetrieb wieder möglich.
Trotzdem sind in dem Traditionsverein am Wannsee fast alle Wettkämpfe abgesagt worden, erklärt Geschäftsführer Frank Butzmann (61). Wie überall in Deutschland. Er guckt auf den See, beobachtet das Training. Butzmann, Olympia-Teilnehmer 1996 und amtierender Deutscher Meister der Kielbootklasse Drachen, hätte auf dem Wannsee gerne seinen Titel verteidigt. Doch in diesem Jahr gibt es keine Meisterschaft. Der Meister, weißes Hemd, breites Kreuz und ernster Blick, muss sich mit der Titelverteidigung gedulden bis zum nächsten Jahr.

Immerhin dürfen sie hier im Verein noch zwei Regatten durchführen. Die Deutsche Meisterschaft im Einmannkielboot 2.4mR und die Segelbundesliga. Beides Ende August und unter harten Auflagen. Im Vereinshaus herrscht weiterhin Maskenpflicht. Ein Warnschild steht vor der Tür: Abstand halten, in die Ellenbeuge niesen, Hände waschen.
Die Personenanzahl auf Stegen und Begleitschiffen wird für Wettkämpfe begrenzt. Eine Seglerparty nach der Regatta oder große Besprechungen wird es nicht geben. Eine Siegerehrung findet nur eingeschränkt statt. „Wir versuchen, so viel wie möglich online zu machen“, sagt Frank Butzmann. Er und seine Kollegen haben schon Adresslisten und Desinfektionsmittel im Haus ausgelegt.

Sportlich gesehen lasse sich die Pandemie für die Segler verkraften, heißt es. Denn die Wettkämpfe fielen samt den Olympischen Spielen ja für alle Sportler aus. Wirtschaftlich aber hat die Corona-Krise Segler und Vereine in Berlin getroffen. Manch ein Skipper lässt sein Boot doch lieber an Land, weil er sich um seinen Job kümmern muss, wird in der Szene erzählt. Segeln ist kein günstiges Hobby. Frank Butzmann zählt auf: „Kein Restaurantbetrieb im Vereinshaus, keine Events für Firmen.“ Für seinen Club fällt im Corona-Jahr ein niedriger fünfstelliger Betrag weg. „Den müssen wir wieder reinholen“, sagt der Geschäftsführer trocken und denkt an die nächste Investition, für die es noch Unterstützer braucht: Das Restaurant braucht einen barrierefreien Zugang, denn im Einmannkielboot segeln auch Menschen mit Behinderung.
Geschäftsführer Butzmann stammt aus dem Osten, segelte zu DDR-Zeiten im Leistungszentrum am Müggelsee. In einer Trainingsgruppe mit Jochen Schümann, der allein dreimal Olympia-Gold gewann. Der Club heißt heute Yachtclub Berlin Grünau. Der Grünauer Clubchef Reinhard Hübner berichtet Ähnliches: Große Treffen unter den Seglern werden weiterhin vermieden. Der Club darf in diesem Jahr noch drei Regatten austragen. Geplant ist eine Maskenpflicht an Land und keine Siegerehrung. Bei großen Wettkämpfen sollen die Teilnehmer auf andere Vereine am Müggelsee ausweichen, damit der Abstand gewahrt bleibt. Alle Feste fallen aus.
Auch der Ostklub muss wegen Corona auf Geld in Höhe von 30.000 Euro verzichten. Reinhard Hübner sorgt sich um die lokale Wirtschaft in Köpenick. Manch ein Sponsor kann den Vertrag nicht verlängern. Reinhard Hübner nimmt es gefasst: „Hauptsache, alle kommen gut durch die Krise.“ Das, was er am Segeln so schätzt: „Man kann gut von den Alltagssorgen abschalten.“