In tadellosem Zustand, das abgegebene Buch.
In tadellosem Zustand, das abgegebene Buch. Foto:  ZLB Berlin

Aufräumen, dazu war in den vergangenen Wochen und Monaten viel Zeit. Wer nicht nach draußen musste, nutzte die Corona-Auszeit, um wieder einmal entlang der Buchreihen der heimischen Bibliothek zu streifen: Mit dem Finger eingeprägte Titel in Ledereinbänden abtasten. Dann und wann einen Band herausnehmen, den Geruch von eingeklemmten Fliegen und alterndem Papier in der Nase. Manchmal fallen Zettel heraus, die einen an Schönes erinnern. Kinokarten oder getrocknete Blüten. Manchmal aber fällt einem beim Betrachten eines alten Schinkens siedend heiß etwas auf. Das ist doch aus der Bibliothek, Abgabe vergessen!

„Zurück nach 46 Jahren! Uns wurde diese Woche ein Buch, was 1974 ausgeliehen wurde, zurückgegeben“, freute sich jetzt die Zentral- und Landesbibliothek Berlin mit einer Twitter-Meldung. Der Nutzer habe sich nach einer Zeitungsnotiz an das Buch erinnert und es zusammen mit einem herzlichen Brief zurückgegeben. Band 26 der Reihe Neue Wissenschaftliche Bibliothek mit dem Titel „Probleme der Reichsgründungszeit 1848–1879“ aus dem Verlag Kiepenheuer und Witsch wurde im Jahr 1974 entliehen.

Nun ist die Lücke in der Schiftenreihe wieder gefüllt. 
Nun ist die Lücke in der Schiftenreihe wieder gefüllt.  Foto:  ZLB Berlin

Nixon trat wegen Watergate zurück, die Welt ächzte unter den Nachwehen der Ölkrise. Die Türkei besetzte Zypern, Deutschland wurde Fußballweltmeister und Willy Brandt trat zurück. Der säumige Berliner arbeitete derweil an seiner Examensarbeit, das Buch wurde irgendwann sein Buch.

Alle folgenden weltbewegenden und nichtigen Ereignisse wartete Band Nummer 26 in einem Berliner Regal ab. Machte vielleicht Umzüge mit, wurde womöglich als Unterlegware benutzt. Jetzt, nach einem knappen halben Jahrhundert kehrt er zurück an den Ort seiner Bestimmung. Anna Jacobi, Pressesprecherin der Zentralen Landesbibliothek: „Wir haben uns gefreut, dass das Buch nach so langer Zeit zurückkam und uns entschieden, keine Mahngebühren zu erheben.“

Beim aktuellen Tagessatz von 25 Cent wären bisher stattliche 4000 Euro zusammengekommen. Aber, so mahnt sie, die Idee einer Bibliothek basiere immer noch auf der rechtzeitigen Rückgabe von ausgeliehenen Werken.