Der Berliner Filmregisseur Christian Petzold : „Corona ist nicht wie Grippe!“
Der Filmemacher sitzt in der Jury von Venedig. Was der 59-Jährige von dem Filmfestival erwartet und wie er seine Infektion mit dem Coronavirus erlebt hat

Das Filmfestival Venedig soll trotz Pandemie stattfinden. Der Regisseur Christian Petzold sitzt in diesem Jahr in der internationalen Jury. Der 59-Jährige gehört zu den bekanntesten deutschen Autorenfilmern und gilt als prominenter Vertreter der Berliner Schule, die etwa in den 90ern für Aufsehen sorgte. Der Regisseur drehte Filme wie „Barbara“, „Yella“ oder „Die innere Sicherheit“. Zuletzt lief „Undine“ mit Paula Beer und Franz Rogowski im Kino. Ein Anruf bei ihm vor der Festival-Eröffnung am Mittwoch.
Venedig ist eines der ersten Filmfestivals, das wieder stattfindet. Mit welchem Gefühl fahren Sie dorthin?
Christian Petzold: Ich war schon ein paar Mal da und das war immer ein sehr überfülltes Festival auf dem Lido. Und ich glaube, diesmal ist es dort sehr viel ruhiger. Ich bin mal gespannt, wie das im Kino aussieht. Die werden auch Abstandsregelungen haben. Ich bekomme auch immer Post von der Festivalleitung, auf was wir alles achten müssen. Aber trotzdem: Ich freue mich total auf die Jury, mit der ich dann - vielleicht ein bisschen wie bei Edgar Allen Poe in „Die Maske des Roten Todes“ - in einem Raum sitzen werde und über Filme sprechen kann.
Muss denn ein Festival in diesen Zeiten wirklich vor Ort ablaufen oder ginge das auch digital?
Also ich finde, alles, was ich bisher digital gemacht habe, ist nicht befriedigend. Es wird auch nie das Gespräch und die Gesten und Blicke und all das ersetzen können. Und ich glaube, ein digitales Festival - das sind Methadon-Programme. Das kann man vergessen. Das läuft nicht. Ich habe das selber erlebt, wir hatten Zoom-Konferenzen und so etwas. Das macht mich fertig.
Sie haben erzählt, dass Sie das Coronavirus schon im Frühjahr hatten. Wie erging es Ihnen damit?
Es war eine sehr scheußliche Erfahrung, muss ich sagen. Deswegen – alle, die das herunterspielen, es sei ja wie Grippe: Das ist nicht richtig. Das waren zweieinhalb Wochen Fieber im Bett, ziemlich hart. Glücklicherweise ist es nicht auf die Lunge umgeschlagen, was aber immer wie ein Damoklesschwert über einem hängt. Da hat man schon ein bisschen Panik. Das Schöne war: Die Träume waren ganz gut.
Warum? Kamen Ihnen gleich neue Filmideen?
Ich habe von einer Idee Abstand genommen und habe eine andere vorgezogen, die eine Liebesgeschichte ist. Vielleicht ist das die Sehnsucht gewesen, dass ich Menschen sehen kann, die sich berühren und in die Augen gucken.
Welches Projekt wird das?
Nach „Undine“ - das ist ja eine Wassergeistgeschichte - habe ich mich mit dem Element Feuer beschäftigt. Es geht um mehrere junge Menschen, die von Waldbränden umgeben sind, eingeschlossen werden und gleichzeitig mit sich und ihrer Liebe klarkommen müssen. Das spielt in Deutschland in Mecklenburg-Vorpommern. Lange war es so, dass man nach Feierabend nach Hause kam, den Fernseher eingeschaltet hat und eben das geguckt hat, was im Programm lief.
Machen Sie das noch?
Ich habe das lange Zeit verteidigt, weil ich gerade diesen Moment ganz toll finde. Man macht den Fernseher an und entdeckt etwas, was man nicht ausgewählt hat. Und diese Überraschung gibt es im Fernsehen leider nicht mehr. Ich habe das Gefühl, dass bis 23 Uhr alles durchgeslottet und durchgetaktet ist.
Wie gucken Sie denn Filme und Serien?
Freunde von mir lachen, aber ich schaue DVDs (lacht).
Ehrlich?
Das hat vielleicht auch etwas mit der Corona-Krise zu tun. Ich habe mir hier kleine private Festivals zusammengestellt aus den über 1500 DVDs, die ich habe. Filme, die ich schon sehr oft gesehen habe, aber dann nochmal sehe. Und dann bestelle ich natürlich. Ich habe zum Beispiel von einem der Jurymitglieder, von Joanna Hogg, „The Souvenir“ bestellt. Und den habe ich nochmal gesehen, nachdem ich ihn einmal im Kino gesehen hatte. Und wir waren begeistert. Das war ein fantastischer Abend mit einer DVD, die man nachher wieder auswerfen und in seine Videothek einräumen muss. Das hatte was. Interview: Julia Kilian