Neue Zahlen

1922 Menschen starben bei dem Versuch, in den Westen zu flüchten

Jährlich zum Jahrestag des Mauerbaus stellt das Berliner Mauermuseum seine neuesten Zahlen zu den damaligen Grenzopfern vor

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Zwei DDR-Volkspolizisten bringen am 17. August 1962 den Leichnam von Peter Fechter über die Zimmerstraße weg von der Berliner Mauer.
Zwei DDR-Volkspolizisten bringen am 17. August 1962 den Leichnam von Peter Fechter über die Zimmerstraße weg von der Berliner Mauer.Herbert Ernst/picture alliance/dpa

Mindestens 327 Menschen sind beim Fluchtversuch aus der DDR an der innerdeutschen Grenze gestorben. Das ist die Zahl, die der Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin ermittelte. Zählt man aber alle Opfer zusammen, die bei der Flucht aus dem Ostblock ums Leben kamen, kommt man laut Berliner Mauermuseum auf mindestens 1922 Tote.

DDR-Unteroffizier erschoss Dachdecker aus Angst vor Verrat

Laut dem privaten Mauermuseum am Checkpoint Charlie in Berlin sind an der innerdeutschen Grenze und bei der Flucht über andere Ostblock-Staaten zwischen 1945 und 1989 mindestens 1922 Menschen gestorben.

Zuletzt wurden sechs weitere Todesopfer ermittelt, sagt Museumsdirektorin Alexandra Hildebrandt. Das 1963 eröffnete Museum veröffentlicht jeweils zum Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 1961 seine neuesten Erkenntnisse zu den Grenztoten.

In der Zählung erfasst werden nicht nur die Toten an der Berliner Mauer und an der innerdeutschen Grenze, sondern auch in der Ostsee, an außerdeutschen Grenzen wie in der damaligen Tschechoslowakei oder Ungarn sowie getötete DDR-Soldaten, sowjetische Fahnenflüchtige, Hingerichtete und weitere Tote, betont die Museumschefin. Unter Experten sind die Zahlen deshalb umstritten. So werden beispielsweise auch Todesopfer an der polnischen Westgrenze zur damaligen DDR in der Museumsstatistik aufgeführt.

Unter den neu ermittelten Opfern sind laut Hildebrandt zwei Westdeutsche, die 1976 im Niemandsland zwischen West- und Ost-Berlin gefunden wurden und die seit 1975 vermisst waren. Aufgelistet wird zudem der Fall eines Dachdeckers, der als Unbeteiligter am 13. August 1987 von einem fahnenflüchtigen DDR-Unteroffizier erschossen wurde, weil dieser Verrat befürchtete.

Ein Grenzsoldat der DDR an der Stelle, an der am 12. September 1961 Rolf Urban ums Leben kam.
Ein Grenzsoldat der DDR an der Stelle, an der am 12. September 1961 Rolf Urban ums Leben kam.Günther Schneider/imago

In einem anderen Fall brachte sich ein DDR-Transportarbeiter nach mehreren vergeblichen Ausreiseanträgen und einem missglückten Fluchtversuch 1978 im Cottbusser Strafvollzug selbst um. Ein weiteres Opfer ist ein Obermeister der DDR-Transportpolizei, der sich 1976 bei einem Fluchtversuch über die tschechoslowakisch-westdeutsche Grenze selbst erschoss, als er von tschechischen Grenzern festgenommen werden sollte.

Mehr Tote als bisher bekannt an der Westgrenze der ČSSR

Bislang hat das Museum 27 Todesopfer an der dortigen Grenze ermittelt. „Wir gehen aber davon aus, dass es mehr als die bis jetzt bekannte Zahl von Toten an der Westgrenze der ČSSR gibt“, sagt Hildebrandt. Allein im Jahr 1988 seien 568 DDR-Bürger durch die Sicherheitsorgane der ČSSR wegen Fluchtverdachts oder Fluchtversuchs festgenommen und an die Stasi übergeben worden.

Der tschechische Botschafter in Deutschland, Tomas Kafka, kündigt an, dass das Institut für das Studium totalitärer Regime in Prag deshalb mit dem Mauermuseum kooperieren wird. „Wir haben eine gemeinsame Vergangenheit, die wir annehmen müssen“, sagt der Botschafter. In Tschechien habe man sich bislang kaum mit dem kommunistischen Grenzregime zu Westdeutschland und Österreich beschäftigt: „Das wollen wir ändern.“

Auch bei den bereits ermittelten Grenztoten seien noch nicht alle Details bekannt, sagt Hildebrandt: „Die Recherchen können nicht abgeschlossen werden, solange Unmengen zerrissener Stasi-Akten nicht rekonstruiert werden.“