Prenzlauer Berg
Wo sich die Macchiato-Mütter tummeln
Bio-Pionierin Eva Linke übergibt ihr Kinderbekleidungsgeschäft Lila Lämmchen im Epizentrum der bewussten Mutterschaft an die nächste Generation.

Wenn es ein Geschäft gibt, das jede typische Macchiato-Mutter in Prenzlauer Berg kennt, dann ist es das Lila Lämmchen. In dem Laden an der Dunckerstraße wird seit zwei Jahrzehnten Bio-Kinderkleidung verkauft. Jetzt steht ein Generationenwechsel an. Gründerin Eva Linke, die in den 1970er-Jahren in Westberlin den ersten Ökokinderladen eröffnete, übergibt an ihre Schwiegertöchter. Wer, wenn nicht diese Frauen, kann Auskunft geben über die Mütter von gestern und die Väter von heute?
Noch stapeln sich die Umzugskisten und winzigen Kleiderbügel im Laden, noch sind nicht alle Babysöckchen Marke „Speckbeinchen“ aus Wolle, alle Schüttlis und Hemdchen aus Seidengemisch einsortiert. Bis Sonnabend aber müssen die ökologisch einwandfreien Textilien verräumt sein, denn dann eröffnet der Laden nach drei Monaten Schließzeit neu. Die Kunden im Kiez warten schon darauf, denn das Lila Lämmchen ist eine Institution in Sachen Naturtextilien für Kinder.
Eva Linke sitzt auf der Bank vor dem Laden, den sie nach fast 20 Jahren an ihre Schwiegertöchter übergibt, und man spürt sofort, dass die 71-Jährige es ernst meint mit dem Anspruch, nur Unbedenkliches, Weiches, Wärmendes und vor allem Schadstofffreies an Kinderhaut zu lassen.
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Eva Linke und das Lämmchen sind resolute Biopionierinnen. Die Keimzelle für das Geschäft, das heute per Onlineshop weit über Berlins Grenzen Mütter mit Mützchen und Mänteln für ihre Kinder versorgt, entstand schließlich schon 1971 in der Schöneberger Pallasstraße. Peace Food – so hieß hier der erste Bioladen Europas. Und bio – das war damals ein neuartiger Lebensstil.
Die indische Yoga-Organisation Ananda Marga betrieb den Laden, in dem es vor allem Körner und Räucherkerzen zu kaufen gab. Als ein Eckchen im Peace Food frei wurde, schlug Eva Linke zu. Schon als Kind hatte sie davon geträumt, einen eigenen Laden zu führen. „Schokolade oder Spielzeug“, lacht sie, „waren meine Favoriten“. Dass es dann Kinderkleidung aus Naturtextilien wurde, lag daran, dass Eva Linke mit Ende 20 als Mutter dreier Kinder den Bedarf nach gesunder Kleidung nirgendwo sonst decken konnte.
Als bio noch die Ausnahme war
„Biokinderkleidung – das gab es in Westberlin nicht“, sagt Eva Linke. Überall und stets war da nur raschelndes Polyester. „Um etwas Vernünftiges zu bekommen, musste man nach Hamburg fahren.“ Wolle- und Seidenhemdchen, die der zarten Babyhaut schmeicheln, kamen aus der Schweiz. Reine Biobaumwolle gab es gar nicht, erinnert sich Linke.
Eva Linke verkaufte also ihre ersten Hemdchen und Leibchen aus unbehandelten Stoffen, und blieb nicht lange ein Geheimtipp. „Die Mütter haben das ziemlich schnell spitzgekriegt“, erinnert sie sich. Zu vielen von ihren ersten Kundinnen in Schöneberg hat sie noch immer Kontakt. Sie sind mittlerweile Omas und kaufen hier für die Enkel ein.
Was in den 1970ern noch eine Lebensanschauung war, ist heute in manchen Kiezen angesagter Lifestyle. „Heute kaufen viele Biokleidung, weil es in ist“, sagt Linke. Als sie 2002 ihren zweiten Laden im heutigen Epizentrum der bewussten Mutterschaft eröffnet, in der Dunckerstraße im Prenzlauer Berg, ist der erste Verkaufstresen ein Kinderschreibtisch ihres Sohnes. Einer der Söhne steigt nun ebenfalls mit seiner Frau Josephine Jenssen ins Geschäft ein. Längst ist das Lämmchen hip geworden, ja ein Label, das Mütter und auch Väter zwischen Helmholzplatz und Kollwitzstraße regelmäßig ansteuern.
„Klar geht es auch darum, dass es schick ist, nachhaltig zu kaufen“, sagt Amelie Blümel, die zweite Schwiegertochter im Familienbetrieb. Aber Eltern, damals wie heute, fangen ohnehin oft an, bewusster zu leben und zu konsumieren, sobald ein Kind auf die Welt kommt. Mütter suchen Wärme für ihre Kinder, die klein, zerbrechlich und dünn sind, wenn sie geboren werden, sagt Amelie Blümel. Kleidung, die ohne Schadstoffe auskommt, tue intuitiv gut. Auch der Wunsch, der Welt, in der die Kinder groß werden, so wenig wie möglich mit dem eigenen Konsum zu schaden, spiele eine Rolle. Weniger ist mehr, das gilt auch für vergleichsweise teure Biobodys.

Was neu ist: „Auch Väter finden mehr und mehr ihren eigenen Platz und sind zu Recht beleidigt, wenn es immer nur um die Mütter geht“, so Amelie Blümel. Bei der Beratung seien die Väter oft unkomplizierter, sagt Eva Linke. „Sie entscheiden sich schneller.“ Manche Mütter seien stundenlang im Laden, wollen alles begreifen und anfassen und nähern sich so dem neuen Lebensgefühl mit Kind.
Als ein Vater mit seiner Tochter an der Hand vorbeigeht, strahlt Eva Linke. „Das macht mich glücklich, weil da eine Verbindung zwischen den beiden ist. Die kann man sehen.“
Das Wissen der Großmütter weitergeben
In einer Stadt, in der viele junge Familien ohne Großeltern leben, soll das Lämmchen eine Anlaufstelle in Sachen Geborgenheit sein. Es gibt Flickkkurse und Stopfkurse zum Reparieren der empfindlichen Textilien. „Perfektionismus macht uns krank und kaputt“, sagt Eva Linke. Das gelte auch für all die selbstbewussten jungen Mütter, die nach der Geburt eines Kindes in ein völlig neues Feld geworfen sind. „Wir erleben immer noch Unsicherheit. Der Umbruch, der Ausstieg aus der Arbeitswelt ins Muttersein, die Aufgabe, plötzlich ein Nest zu pflegen, ist immer neu und eine Herausforderung“, so Josephine Jenssen.

Eva war eine Pionierin, sagt Josephine. „Sie ist mit absoluter Überzeugung in eine Nische gegangen, das brauchte Mut.“ Heute ist die Nische zukunftsfähig, ja zukunftsnötig geworden. Wie ihre Schwiegertöchter ihr Vermächtnis weiterentwickeln, will Eva Linke vom Laden nebenan noch ein Weilchen mitverfolgen. Dort verkauft sie Biokleidung für Erwachsene.