Mieten-Irrsinn in Berlin

Verzweifelter Hilferuf: „Wir sind wütend, traurig und haben Angst um die Zukunft unseres Zuhauses!“

Bewohner vom Mehringdamm 49 in großer Sorge. Kein gemeinwohlorientiertes Unternehmen steht als Erwerber zur Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts zur Verfügung.

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Protest an der Fassade: Mieter des Hauses Mehringdamm 49 hoffen auf die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten eines gemeinwohlorientierten Vermieters.
Protest an der Fassade: Mieter des Hauses Mehringdamm 49 hoffen auf die Ausübung des Vorkaufsrechts zugunsten eines gemeinwohlorientierten Vermieters.Foto: Benjamin Pritzkuleit

Die Mieter des Hauses Mehringdamm 49 in Kreuzberg sind enttäuscht: „Wir sind wütend, traurig und haben Angst um die Zukunft unseres Zuhauses“, schreiben sie in einem Brandbrief. Der Grund: Weder eine Genossenschaft noch eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft stehen zurzeit für die Ausübung des bezirklichen Vorkaufsrechts zur Verfügung. So wird es immer wahrscheinlicher, dass das Haus unweit des Bergmannkiezes von einem Investor übernommen wird, der seinen Sitz in Luxemburg haben soll. Das wollten die Mieter vermeiden. Denn sie befürchten, dass sie trotz geltenden Mieterschutzes aus ihren Wohnungen verdrängt werden.

Zwar hätte nach Angaben der Mieter die Genossenschaft Bremer Höhe für einen Erwerb zur Verfügung gestanden. Aber nur, wenn es dafür wie bisher eine finanzielle Unterstützung durch das Land Berlin gibt. Weil der Fördertopf für den genossenschaftlichen Bestandserwerb aber leer ist, hat sich die Genossenschaft zurückgezogen. Das Problem: Die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag, die als weiterer Erwerber im Gespräch war, kommt ebenfalls nicht zum Zuge. Denn Finanz-Staatssekretärin Vera Junker will dies nicht unterstützen.

Sogar freiwillige Mieterhöhungen angeboten

Dabei hatten sich viele der 34 Mietparteien aus dem Mehringdamm 49 sogar bei einer Übernahme durch die Gewobag zu freiwilligen Mieterhöhungen bereit erklärt, nur um nicht in die Hände eines privaten Investors zu kommen. Solchen freiwilligen Mieterhöhungen steht Vera Junker aber kritisch gegenüber, wie aus einem Schriftwechsel von ihr mit Politikern der Grünen und der SPD hervorgeht. So schreibt Junker, dass sie das Instrument der freiwilligen Mieterhöhungen „für nicht sinnvoll“ halte und „auch als ein falsches Signal“ betrachte. Seit dem Mietendeckel „war das Instrument freiwilliger Mieterhöhungen nicht mehr anzuwenden", stellt sie fest.

Des Weiteren sei auch „sehr fraglich“, ob vor dem Hintergrund der erst kürzlich beschlossenen Mieterschutzregelungen bei den landeseigenen Unternehmen freiwillige Mieterhöhungen für die Wohnungsbaugesellschaften „überhaupt rechtlich zulässig wären“. Ohne freiwillige Mieterhöhungen würde jedoch, so die Finanz-Staatssekretärin, „der Private-Investor-Test nicht bestanden werden, der aber beihilferechtliche Grundvoraussetzung für eine Zuschussgewährung“ sei. Vereinfacht gesagt: Freiwillige Mieterhöhungen seien nicht möglich. Und ohne freiwillige Mieterhöhungen sei beihilferechtlich nichts zu machen.

Kritik von den Grünen

Die Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger kritisiert die Staatssekretärin aus der SPD-geführten Finanzverwaltung. „Freiwillige, einkommensgestaffelte Mieterhöhungen, die einige Mieter*innen angeboten hatten, abzulehnen mit dem Argument, sie wären unsozial, um dann gar nichts zu tut, kann doch keine politische Antwort sein“, sagt sie. „Die Mieter*innen fühlen sich zu Recht missachtet. Sie brauchen aber dringend eine pragmatische Lösung und langfristigen Schutz.“

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bestätigte auf Anfrage, dass die Mittel aus dem Darlehensprogramm der Genossenschaftsförderung für den Erwerb von Bestandsimmobilien „nahezu ausgeschöpft“ seien. Laut Doppelhaushalt 20/21 müssten 50 Prozent der Mittel der Genossenschaftsförderung für den Neubau ausgegeben werden, 50 Prozent für den Bestandserwerb. Derzeit werde ein weiteres Auffüllen oder Umwidmen von Mitteln in Absprache mit der Senatsverwaltung für Finanzen geprüft. Dies sei jedoch nur unter Beteiligung des für Finanzen zuständigen parlamentarischen Hauptausschusses möglich.

Frist läuft bald ab

Bei Verkäufen von Häusern in einem Milieuschutzgebiet haben die Bezirke zwei Monate Zeit, um das Vorkaufsrecht zugunsten eines gemeinwohlorientierten Vermieters auszuüben. Abwenden kann der private Erwerber das Vorkaufsrecht, wenn er sich schriftlich zur Einhaltung eines besonderen Mieterschutzes verpflichtet. Dazu gehört der Verzicht auf die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen für 20 Jahre. Abwendungsvereinbarung wird eine solche Verpflichtung genannt. Sie gelten als bevorzugte Variante des Mieterschutzes, weil sie ohne finanzielle Hilfen des Landes auskommen. Ohne dass die Bezirke die Bereitschaft demonstrieren, dass sie das Vorkaufsrecht auch ausüben, gäbe es jedoch für private Investoren keinen Grund, eine Abwendungsvereinbarung zu unterzeichnen. Für das Haus Mehringdamm 49 läuft die Frist zur Ausübung des Vorkaufsrechts in den letzten Juni-Tagen aus.