„Wir machen auf!“ Berliner Wirte und Einzelhändler drohen mit Lockdown-Putsch
Unter dem Motto „Wir machen auf“ hat sich eine Widerstandsbewegung im Netz formiert. Doch der Lockdown-Boykott wird nicht nur in Berlin kritisiert.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz rufen derzeit Einzelhändler und Gastronomen unter dem Hashtag #wirmachenauf dazu auf, ihre Läden am Montag, 11. Januar, zu öffnen – und das mitten im Lockdown. Gut 60.000 Teilnehmer haben sich bereits in der entsprechenden Telegramgruppe „Wir stehen auf – kein Lockdown mehr – Deutschland“ angemeldet. Auch weitere Gruppen sind im Zuge der Aktion entstanden.
Hana Hariri, Geschäftsführerin des Cafés Hom in Neukölln, kann den Unmut der teilnehmenden Händler und Gastronomen verstehen. Sie könne ihre Produkte derzeit selbst nur zum Mitnehmen anbieten. „Ich wünsche mir natürlich auch, dass die Menschen wieder in mein Café kommen“, sagt sie. Doch teilnehmen würde sie an der Aktion „Wir machen auf“ nicht. „Ich würde damit die Gesundheit meiner Mitarbeiter und Kunden nur aufs Spiel setzen“, so Hariri.
„Wir müssen eben noch etwas Geduld haben. Es ist keine einfache Situation, aber leichtsinnig die Geschäfte zu öffnen, ist auch nicht zielführend.“ Die Geschäftsführerin spürt die Auswirkungen der Krise deutlich: „Meine Umsätze sind ziemlich im Keller.“ Doch im Vergleich zu anderen Ländern gebe es in Deutschland immerhin staatliche Unterstützung für Gastronomen und Händler. „Wir kommen mit den Hilfen über die Runden.“
Initiator der Protestaktion „Wir machen auf“ ist Mecit Uzbay aus Krefeld. Er bezeichnet sich selbst in der von ihm gegründeten Telegramgruppe als „einfachen Kosmetikstudiobesitzer, der alles umsetzte, was erwartet wurde, und am Ende seiner Existenz ist und die Nase voll hat.“ In Sprachnachrichten, die bereits wieder gelöscht wurden, stachelt Uzbay die Teilnehmer an, am Protest teilzunehmen, Widerstand zu leisten. Er hat außerdem die Website Coronapedia gegründet. Dort soll am 11. Januar um 8 Uhr die Liste der an der Aktion teilnehmenden Geschäfte und Restaurants veröffentlicht werden.
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Der Hashtag #wirmachenauf wird seit dem vergangenen Wochenende auch von der Initiative „Querdenken“ aufgegriffen und geteilt. In den sozialen Medien wird die Aktion daher scharf kritisiert. „Ich bin ein einfacher Mensch, ohne jeglichen politischen Hintergrund. Es geht hier weder um Querdenken, noch irgendwelche andere Bewegungen, Seiten, Kanäle“, verteidigt Uzbay sich in seiner Telegramgruppe.
Doch das trifft nicht ganz die Wahrheit. Uzbay scheint in der „Querdenken“-Szene schon seit längerem bekannt zu sein. Auf der Instagramseite der Antifa Désaccord Krefeld wurde ein Video von Uzbay gepostet, in dem er als Redner und Corona-Leugner auf einer „Querdenken“-Demo zu sehen ist. „Ich gebe euch 1000 Euro, wenn ihr mir beweist, dass dieser Virus existiert“, hört man Uzbay ins Mikrofon sprechen. Erst vor ein paar Tagen trat er außerdem auf dem YouTube-Kanal des bekannten „Querdenkers“ Samuel Eckert auf.
Deutschlandweit distanzieren sich mittlerweile Händler, Gastronomen und Verbände von dem Boykott „Wir machen auf“. Auch Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg warnt vor dem Öffnungsaufruf im Netz. „Die Bewegung wird von bestimmten politischen Kräften unterwandert und fordert zum offenen Rechtsbruch auf“, sagt Busch-Petersen. „Wir als Interessenvertretung der Einzelhändler distanzieren uns klar von dieser Aktion.“
Der Handelsverband beobachte, dass mehrere Initiativen und Aktionen in den vergangenen Monaten von Einzelhändlern ins Leben gerufen wurden. „Sie sind ein Ausdruck der Verzweiflung, die sich im Einzelhandel breitmacht“, so Busch-Petersen. So habe sich auch die Aktion #wirstehenzusammen entwickelt, die auch die Forderungen des Handelsverbands mitträgt, den Einzelhandel finanziell stärker zu unterstützen. „Wir müssen da aber eine ganz klare Trennlinie zu der Bewegung ‚Wir machen auf‘ ziehen“, so Busch-Petersen.
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Auch Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin des Dehoga Bundesverbandes, spricht sich gegen die geplanten Öffnungen aus. „Bei allem Verständnis für den maximalen Frust, den Unmut und die immer größer werdende Verzweiflung appellieren wir an die Unternehmer, die Restaurants nicht zu öffnen und nicht gegen geltendes Recht zu verstoßen“, so Hartges.
Mit welchen Konsequenzen müssen Geschäfte bei einer Öffnung am Montag rechnen? „Nach der aktuellen Corona-Verordnung kommen hohe Bußgeldstrafen auf sie zu“, erklärt Marian Lamprecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht in Berlin. „Für den Einzelhandel kann ein Bußgeld zwischen 250 und 5000 Euro und für die Gastronomie von 5000 bis 10.000 Euro verhängt werden“, so Lamprecht. Im wiederholten Falle einer Öffnung müssten die Betreiber mit höheren Strafen rechnen. Die Händler und Gastronomen könnten sogar ihre Zulassung verlieren. Bei jeder Strafe über 200 Euro erfolgt zudem ein Eintrag ins Gewerbezentralregister.
„Da die Aktion mittlerweile bundesweit groß angekündigt wird, werden die Ordnungsämter sicherlich nicht einfach nur dabei zusehen, sondern auch die Strafen verhängen“, so der Anwalt. Nils Busch-Petersen vom Handelsverband vermutet, dass angesichts der Strafen und der Verbindung mit der „Querdenken“-Szene nur wenige Händler in Berlin und Brandenburg an der Aktion teilnehmen werden. „Ich denke, den meisten ist klar, dass sie mit einer Teilnahme nur Nachteile haben werden“, so Busch-Petersen. „Doch ausschließen können wir nichts.“