Wie ich zum Roller-Rowdy wurde

Ich habe mir mal ein paar der Roller näher angeguckt, die in Berlin überall im Wege stehen, als sei die ganze Innenstadt der Parkplatz eines Riesen-Kindergartens. Erwachsene Menschen fahren auf diesen E-Scootern in infantiler Manier herum, mitunter zu zweit und zu dritt, oft auf dem Gehweg oder im Zickzackkurs auf der Straße, mit dem Telefon in der Hand, nicht selten betrunken. Mein innerer Berliner schlägt die Hände überm Kopf zusammen und ruft: „Man lässt doch nich den Kinderjarten uff de Straße! Dit is jefährlich!“
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Aus der Nähe besehen ist solch ein Roller durchaus interessant. Ganz hinten auf dem Trittbrett steht: „Hier bremsen“. Ein wichtiger Hinweis. Hoffentlich trifft der Hacken im entscheidenden Moment auch den richtigen Punkt. An der Lenksäule kann man lesen: „Behindere nie den Gehweg oder den Verkehr“. Leider steht der Hinweis so weit unten, dass man sich beim Fahren bücken muss. Rumms – schon hat man eine Oma umgefahren oder ist auf die Kühlerhaube eines Autos gekracht.
Ich muss zugeben: Ich war selbst mal ein richtiger Roller-Fan. Als Kind liebte ich mein Gefährt: metallic-weinrot, mit weißen Rädern, geriffeltem Trittbrett, Bremse und kleinem Sitz über dem Hinterrad. Vor unserem Haus bildete die Straße einen Halbkreis, die sogenannte Runde.
Sie war wie ein kleines Stadion, auf drei Seiten von den Wohnhäusern flankiert. Wenn irgendwo auf der Welt ein wichtiges Sportfest stattfand, wurde es von uns Kindern in der Runde nachgespielt. Zuvor malten wir mit Kreide Bahnen auf die Straße.
Ich wurde zum richtigen Roller-Rowdy
Einmal im Jahr gab es ein großes Radrennen. Nein, ich meine nicht die Tour de France, den irren Profizirkus. Das Rennen hieß Friedensfahrt. Das größte Amateurrennen der Welt war 1948 gegründet worden und führte über Warschau, Prag und Berlin. Tagelang spielten wir es nach. Alle Kinder der Gegend buckelten ihre Roller aus dem Keller und traten am Kreidestrich an.
Nach dem Startsignal setzte sich der Tross aus großen Metall- und kleinen Holzrädern in Bewegung, raste, eierte, schepperte über den Asphalt. Natürlich krachte auch mal jemand aufs Pflaster. Genau wie im echten Rennen, nur dass dort meist nicht geheult wurde. Jedenfalls nicht so laut.
Mit der Zeit wurde ich ein richtiger Roller-Rowdy. Ich glaube, ich toppte die Geschwindigkeiten heutiger E-Scooter-Fahrer. Hinzu kamen Kunststückchen, die man heute lieber nicht auf der Straße macht. Eine Herausforderung war, sich während des Fahrens auf den kleinen Sitz zu hocken und trotzdem die Balance zu halten. Manchmal fuhr auch ein anderer auf dem Sitz mit. Er musste die Beine hochziehen, während es im Affenzahn über die Straße ging.
Oder ich genoss es, mit vollem Tempo ins Gebüsch hineinzurauschen und mich fallenzulassen. In Indianerfilmen hatte ich gesehen, wie Reiter vom Pferd stürzten. Auch das stellte ich nach. Ich sprang beim Fahren ab und der Roller sauste zwei, drei Meter weiter. Krawolz!
Ich will mein Roller-Rowdy-Gen nicht wieder aktivieren
Eines Tages sagte sich der Roller wohl: Och nöö, das brutale Vieh ertrag ich nicht länger. Und er brach unter mir auseinander, mitten in der Fahrt. Gott sei Dank kam ich glimpflich davon. Mein Vater guckte gerade aus dem Fenster. Sein Gesicht bestand vor Schreck nur noch aus drei runden Flecken: großen Augen und einem O-Mund.
Auf heutige E-Scooter stelle ich mich lieber nicht. Ich will das Roller-Rowdy-Gen in mir nicht wieder aktivieren. Zum Schutz der urbanen Umwelt und ihrer Bewohner. Auch anderen sei dies angeraten.