Kreative Bilder
Wie ein Berliner Fußfotograf den Blick fürs Besondere findet
Sven Kocars starke körperliche Einschränkungen hindern ihn nicht daran, seinen Alltag auf Fotos festzuhalten. Im Gegenteil: Sie legen eine wenig beachtete Perspektive auf das Stadtleben und die Natur frei.

Sven Kocar öffnet die kleine Kameratasche ganz vorsichtig. Wenige Sekunden später hebt er langsam die an einem Gurt befestigte Nikon Coolpix P7800 aus der Tasche und stellt sie behutsam auf dem Boden seines Zimmers ab. Das Besondere: Den gesamten Vorgang erledigt Kocar mit den Füßen. Der 40-Jährige ist Fußfotograf. Wenn er aufbricht, um Bilder zu knipsen, zieht er stets die Schuhe aus und drückt mit seinem rechten Fuß auf den Auslöser.
Kocar hat unheimlich viel Kraft in den Füßen, er isst mit den Füßen, kann mit ihnen beispielsweise auch Schraubverschlüsse von Flaschen öffnen. Der gebürtige Berliner hat seine Füße zeitlebens so stark trainiert, dass sie ihm besser gehorchen als seine Hände. Nötig machten dies seine schweren körperlichen Beeinträchtigungen. Von Geburt an leidet Kocar an der sogenannten Tetraspastik. Sein Gehirn wurde nicht mit ausreichend Sauerstoff versorgt, was die Ärzte damals zu spät erkannten. Die Folgen davon: Er kann die Bewegungen in seinen Armen und Beinen nicht gezielt steuern und sitzt im Rollstuhl. Auch das Sprechen fällt ihm schwer. Er lebt in einem Wohnangebot eines ambulanten Pflegedienstes in Friedrichshain.

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Doch seine Einschränkungen werfen Kocar in seinem Leben nicht überall zurück. Seine Mutter ist gelernte Erzieherin, kümmert sich genauso wie der Vater liebevoll um ihn. Er geht in den Kindergarten, dann in die Schule. Diese schließt er mit der Mittleren Reife ab, setzt anschließend das Abitur obendrauf. Das Arbeitsamt schlägt ihm vor, in einer Werkstatt für Behinderte zu arbeiten. Für Kocar keine zufriedenstellenden Aussichten. „Ich habe doch nicht Abitur gemacht, um dann in der Werkstatt zu versauern“, sagt er.
In Potsdam absolviert er eine Ausbildung zum Mediengestalter. Dort kommt Kocar zum ersten Mal mit der Fotografie in Berührung und erhält seine erste Kamera – eine Canon. „Wenn ich mal allein zu Hause war, habe ich die Kamera rausgeholt und einfach drauflos fotografiert – zuerst in der Wohnung, später dann im Garten“, erzählt Kocar. „Einige der Bilder habe ich dann herumgezeigt und alle waren begeistert.“ Seit 2006 lichtet Kocar alles, was er persönlich spannend findet, aus der Froschperspektive ab.
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Dadurch bekommt er einen völlig neuen Blickwinkel auf die Welt. Am liebsten fotografiert er draußen in der Natur. „Blumen, Blätter, Pflanzen sehe ich auf Augenhöhe – oder die kleinsten Tierarten wie Ameisen“, sagt er. „Ich fotografiere Dinge, die fast jeder kennt, aber kaum einer erkennt.“ Auf seiner Webseite listet Kocar die Bilder in Ordnern wie „Vegetarisches“, „Abstraktes“ oder „Tierisch humanes“. Dort bietet er seine Fotos auch zum Verkauf an. Ein Fotoposter mit einem seiner Motive im DIN-A4-Format kostet beispielsweise 15 Euro.

Doch was ist wichtig für Kocar, wenn er mit den Füßen fotografiert? Ein fester Stand sei von großer Bedeutung, die Kamera dürfe nicht wackeln. „Einen kleinen ausklappbaren Monitor benötige ich auch“, sagt er. Seine erste Kamera hatte diese Funktion nicht. So konnte Kocar nicht sehen, was er fotografierte. Die Nikon Coolpix P7800 ist bereits seine vierte Kamera. „Die Teile sind nicht für Spastiker gebaut, die gehen öfter mal kaputt“, sagt Kocar mit einem Lächeln im Gesicht.
Eine direkte Message mit seinen Fotos habe Kocar nicht. Er fotografiere schließlich nicht für die anderen, sondern nur für sich. „Wenn ich mit meinen Bildern allerdings in die Öffentlichkeit gehe und sie ausstelle, möchte ich den Leuten gerne zeigen, dass ich auch nur ein Mensch bin“, sagt er. Aktuell findet eine Ausstellung mit Fotos von Kocar statt. Noch bis zum 27. November kann man sich unter dem Titel „Lichtblicke eines Fußfotografen“ seine Werke in der Mittelpunktbibliothek „Ehm Welk“ in Marzahn-Hellersdorf anschauen. Wer Kocar dabei mal vor Ort antrifft, darf darauf hoffen, dass er eine seiner Kurzgeschichten vorliest. „Ich schreibe über kuriose Erlebnisse, die ich mit Menschen ohne Behinderung hatte und verpacke sie humorvoll, damit man auch etwas zum Schmunzeln hat.“
Aktuell arbeitet Kocar daran, seine Kurzgeschichten und seine Fotografien in einem Buch zu vereinen. Wenn er mal nicht kreativ ist, verbringt er seine Zeit am liebsten mit Freunden oder widmet sich der Astronomie. „Mir gefällt auch diese weite Perspektive. Das schafft Distanz und relativiert die kleinen Probleme, die wir haben“, sagt er. Was er gerne einmal fotografieren würde? „Die Natur in Neuseeland.“ Nach Island sei er schon zweimal in den Urlaub geflogen, um Bilder zu knipsen. „Eigentlich fotografiere ich im Urlaub aber nicht so viel, weil es ja Urlaub ist!“
