Stefan Palm (r.) muntert bei einer Clownsvisite mit Mundschutz zusammen mit einer Kollegin kranke Kinder auf. 
Stefan Palm (r.) muntert bei einer Clownsvisite mit Mundschutz zusammen mit einer Kollegin kranke Kinder auf.  Foto: Gregor Zielke

Ein schwer kranker Junge liegt in seinem Kinderbett in einem Berliner Hospiz. Er hebt ganz langsam den Kopf, als der Clown ins Zimmer tritt. Der sieht etwas ungewöhnlich aus, denn sein Mund ist nicht zu sehen. Der Mime hat sein Gesicht unter einer FFP2-Maske versteckt und darüber seine rote Nase gezogen. Doch den Jungen scheint das nicht zu stören. Oder hat er sich schon daran gewöhnt? Stefan Palm, seit 15 Jahren Clown „Stefanello“ beim Verein Rote Nasen Deutschland e. V., muss in der Pandemie viel Abstand überwinden. Eine zusätzliche Herausforderung, selbst für einen Profi wie ihn.

Stefanello trägt ein rosafarbenes Hemd, einen Schlapphut, eine karierte Hose und riesige rote Schuhe. Gemeinsam mit seiner Kollegin Emma Dilemma stimmt er ein Kinderlied an: „Der Kuckuck und der Esel“. Für den Teenager, der an Spinaler Muskelatrophie erkrankt ist und sich kaum noch bewegen kann, weil die Krankheit die Nervenzellen im Rückenmark zerstört hat, ist der Freitagnachmittag mit den Clowns eine willkommene Abwechslung. Er klatscht mit den Händen im Takt. 

Mehrmals hintereinander trällert Stefanello die Strophen, mal singt er sie lustig, mal traurig, mal wütend oder gar arrogant und auch stolz. Aufgabe seiner kleinen Patienten ist es, jedes Gefühl in der Melodie zu erraten. „Die Gefühle waren in diesem Moment so stark in meinem Körper, dass ich sogar vergessen habe, dass ich unter einer Maske singe“, sagt der 55-Jährige. 

„Der Mund-Nasen-Schutz ist mit Sicherheit eine notwendige Einschränkung, mit der wir im Alltag zu kämpfen haben. Unsere Aufgabe ist es, trotz dieser begrenzenden Maßnahme innerlich frei zu bleiben und Geschichten zu erzählen“, erklärt Reinhard Horstkotte, künstlerischer Leiter von Rote Nasen Deutschland e. V. „Darin sehe ich die Kunst des Clowns. Unsere Mission ist es, die Verbundenheit mit den kranken Kindern und Pflegebedürftigen trotz Mundschutz und Abstand zum Ausdruck zu bringen.“

Workshop „Spiel mit Maske“

Stefan Palm alias Stefanello und weitere Mitarbeiter des Clownsprojekts lernten in einem Workshop „Spiel mit Maske“, wie sie unter ihrer Maske positive Gefühle trotz eingeschränkter Mimik und mit Mindestabstand erzeugen können. „Wir Clowns haben nicht nur unseren Mund als Ausdrucksmittel, sondern können die Technik unseres ganzen Körpers wie ein Instrument bedienen und auf diese Weise kommunizieren“, erklärt Palm.

So sei ein Lächeln sei nicht nur das Anheben der Mundwinkel, sondern vielmehr ein innerer Impuls. Kollege Reinhard Horstkotte ergänzt: „Alle unsere Clowns sind ausgebildete Künstler, und als solche wissen sie, wie der Körper spricht und Gefühle ausdrücken kann. Das Bein kann lächeln und der Arm weinen.“

Bei den Übungen im Workshop stand der Mund-Nasen-Schutz im Focus und wurde dabei ganz unterschiedlich wahr genommen: Sie hätten sich unter Maske einfach einen kleinen neugierigen Hund vorgestellt, der seine Umgebung erkundet und die Künstler durch den Raum zieht. Aus solch einem Perspektivwechsel könne etwas ganz Neues entstehen. „Man kann den Mundschutz zum Beispiel auch wie ein zusätzliches Sinnesorgan, wie ein imaginäres Seil sehen, das einen mit dem Gegenüber verbindet“, so Stefan Palm.

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Ein anderer Junge im Hospiz kann aufgrund seiner Erkrankung kaum noch sprechen. „Ja“ und „Nein“ sind die wenigen Wörter, mit denen er sich noch verständigen kann. Er kommuniziert viel über die Augen und durch die Hände. Das ist auch mit Mund-Nasen-Schutz möglich. „Natürlich ist es anstrengender, unter der FFP2-Maske zu singen, und es klingt auch nicht so gut, weil es mehr hallt“, sagt der gelernte Pantomime Palm, der sich als Klinikclown weiterbildete. Er müsse jetzt häufiger Pausen einlegen.

Bei einem Workshop lernen die Clowns, mit Maske zu spielen.
Foto: Gregor Zielke
Bei einem Workshop lernen die Clowns, mit Maske zu spielen.

Doch Stefan Palm und seine Kollegen sind dankbar, dass sie überhaupt auftreten dürfen. Da seien sie heute zum Glück schon einen entscheidenden Schritt weiter als im Frühjahr. Der erste Lockdown hatte das Projekt der Roten Nasen lahmgelegt und sie durften in dieser Zeit nur noch Online-Visiten anbieten, jedoch in keine Einrichtung persönlich gehen. Seit Sommer 2020 können sie wieder spielen, wenn sie sich an strenge Hygienemaßnahmen halten. Ihre roten Nasen und die Kleidung müssen sie nach jeder Visite desinfizieren, und sie müssen einen negativen Corona-Test vor dem Besuch im Hospiz, Seniorenheim oder der Klinik nachweisen.

Positive Haltung

Das Rote-Nasen-Team will sich von den Covid-19-Beschränkungen nicht unterkriegen lassen. Durch die FFP2-Maske werde die Clownsnase sogar noch in ihrer äußerlichen Wirkung verstärkt, da sie jetzt mehr vom Kopf abstehe als vorher, findet Stefan Palm. Eine positive Haltung sei wichtig, denn sie seien als Clowns Bezugskünstler und dazu da, Brücken in schwierigen Zeiten zu bauen. „Gerade jetzt sind Clownsvisiten besonders wichtig. Clowns sind Krisenexperten. Sie schaffen Erleichterung in Stresssituationen und geben psychosozialen Trost“, sagt Reinhard Horstkotte. 

Den Clowns begegnen in ihrem Alltag viele schwere Einzelschicksale, mit viel Herz und Empathie schenken die Künstler den Patienten Kraft. Die beiden Jungen im Hospiz blicken erwartungsvoll auf Stefanellos nächsten Besuch am Freitag. Der Künstler, der selbst Vater eines Pflegekindes ist, gibt ihnen wichtigen Halt und ein Stück Normalität. Ob mit oder ohne Maske. Die Verbundenheit ist stärker als der Abstand.