Bei Bombenalarm geborgen
Tollkühne Rettung einer hilflosen Frau: Wie das Denkmal der Gertraude den 2. Weltkrieg überstand
Nur eine Handvoll Menschen wusste, wo die Statue zwischen 1944 und 1951 versteckt war.

Seit ein paar Wochen ist Gertraude wieder da: Die populäre Skulptur wurde nach gründlicher Reinigung an der Brücke über den Spreekanal aufgestellt, die ihren Namen trägt. Der KURIER hatte berichtet, es muss aber noch das Rätsel gelöst werden, wie die Bronze den 2. Weltkrieg überlebte: Weder wurde sie eingeschmolzen, um Munition aus ihr zu machen - ein Schicksal, das viele Kunstwerke erlitten -, noch nahm sie Schaden durch Bombenangriffe und Straßenkämpfe.
Der Medailleur Wolfgang H. Günzel (82) hatte sich vor über zehn Jahren daran gemacht, seinen Schwiegervater zu ehren, den 1989 verstorbenen Berliner Metallbildhauer und Bronzegießer Hans Füssel. Heraus kam 2008 das Buch „Berliner, Bronzen, Brücken, Bauten.“ Darin schildert Günzel mitsamt Fotos die Rettung der Gertraude, die von 1944 bis 1951 verschwunden war.
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Ein tollkühner Plan
Ein Bildhauer, von dem Günzel nur den Nachnamen Stenvers überliefert, und ein Feuerwehrmann fassen demnach 1944 den Beschluss, Gertraude vor dem Einschmelzen zu bewahren. Was dann geschieht, erscheint tollkühn, wenn nicht aberwitzig.

Vor dem Stadthaus am Molkenmarkt errichten die Männer über Wochen einen Splitterschutz-Bunker aus Trümmersteinen und Eisenträgern. Schließlich beschaffen sie einen Kettenschlepper samt Kran.
Los geht es, als Fliegeralarm gegeben wird: Ein ganzer Trupp, in Feuerwehrkleidung getarnt, macht sich auf, um Gertraude von der Brücke zu bergen und zu ihrem einige hundert Meter entfernten Bunker zu bringen, in der Hoffnung, weder von Bomben getroffen noch von bewaffneten Patrouillen kontrolliert zu werden.
Es klappt, Gertraude wird verstaut, blitzschnell eingemauert.
Viele Gerüchte nach dem Krieg: Wo mag Gertraude sein? In Moskau?
Nach dem Krieg geht dann die Frage um: Wo ist sie? Zerbombt, eingeschmolzen, nach Moskau gebracht? Bis auf die kleine Gruppe der Gertrauden-Retter weiß es niemand, und die hält dicht.
Bis 1951.
In diesem Jahr treffen sich die Bildhauerkollegen Stenvers und Füssel nach Jahren eher zufällig, gehen in die Kneipe, und dort gibt Stenvers preis, er wisse, wo die Figur sei.
Beide Männer wollen das aber zunächst nicht publik machen: Sie fürchten, dass die SED-Politik, Denkmäler aus wilhelminischer Zeit zu vernichten, auch die 1896 aufgestellte Gertraude treffen könnte. Erst als er bei vorsichtigem Herumhorchen bei der Denkmalpflege erfährt, die Gertraude solle nicht verschrottet werden, falls sie wieder auftaucht, informiert Füssel den Magistrat.

Im Oktober 1951 erhält der Bildhauer Füssel dann den Auftrag, die Figur aus dem Trümmerfeld in der Jüdenstraße zu bergen. Der „Gertraudenbunker“ ist von Schutt bedeckt, keiner weiß, wie es der Figur darin geht. Doch bis auf ein paar verlorene Lilienblüten ist sie heil geblieben, übersteht auch den Zusammenbruch des Vehikels, das Füssel für ihren Abtransport behelfsmäßig zusammenschraubt: Sie wiegt drei Tonnen, die Behörde hatte ihm aber nur eine Tonne Gewicht übermittelt.

Auf dem Hof des Märkischen Museums restauriert Füssel die Figur, die 1954 wieder auf die Gertraudenbrücke gestellt wird. Dort wird sie 2017 demontiert, weil die Brückenbrüstung, auf der sie steht, zusammenzubrechen droht. Über Jahre hinweg eingelagert, wird sie vom Frühjahr 2021 an gereinigt und repariert. Seit dem 9. Dezember steht sie wieder an, wenn auch nicht auf der Gertraudenbrücke. Die muss erst saniert werden.