Der Angeklagte Qussei H. (49) sitzt hinter seinem Anwalt im Glaskasten.
Der Angeklagte Qussei H. (49) sitzt hinter seinem Anwalt im Glaskasten. Pressefoto Wagner

Vier Schüsse trafen Hatem B. (46), als er in gemütlicher Runde vor einem Backshop saß. Musste er für die mutmaßliche Bluttat seines Sohnes sterben? Lkw-Fahrer Qussei H. (49) sitzt nun wegen Mordes auf der Anklagebank. Heimtückisch und aus niederen Beweggründen soll er Hatem B. niedergeschossen haben. Weil dessen Sohn (16) einen Neffen (18) von H. mit einem Messer tödlich verletzt haben soll.

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Der jugendliche Sohn, der inzwischen wegen Totschlags verurteilt wurde, sitzt nun als Nebenkläger dem mutmaßlichen Mörder seines Vaters gegenüber. Für den Prozess hat das Gericht verschärfte Sicherheitsvorkehrungen angeordnet.

Die Anklage: „Qussei H. war überzeugt, dass die durch die Tötung des Neffen verletzte Ehre der Familie H. nur durch die Tötung eines Angehörigen der Familie des vermuteten Täters wiederhergestellt werden könnte.“ Obwohl der Sohn von Hatem B. in U-Haft saß und auf seinen Prozess wartete. Auch Entschuldigungen und Vermittlungsversuche soll es gegeben haben.

Der Täter feuerte vier Kugeln aus zwei Metern Entfernung ab

Exakt drei Monate nach dem Tod seines Neffen soll H. zur Pistole gegriffen haben – aus einem kruden Ehrbegriff. Es war 19.35 Uhr, als er am 27. August am Backshop an der Reinickendorfer Straße in Wedding aufgetaucht sein soll – die Kapuze einer schwarzen Jacke tief ins Gesicht gezogen.

Hatem B., der aus Tunesien stammt, saß laut Anklage nichts ahnend vor dem Backshop – wie so oft. Der Täter zog die Knarre erst unmittelbar vor den Schüssen aus seiner Jacke, heißt es in der Anklage. Aus zwei Metern Entfernung habe er vier Kugeln abgefeuert.

Familienvater B. sackte zusammen. Eine Kugel hatte ihn am Hals schwer verletzt, eine weitere durchdrang die linke Brust. Zeugen leisteten sofort Hilfe. Doch Hatem B. verstarb wenig später noch vor Ort.

Am Dienstag begann der Mordprozess in Moabit.
Am Dienstag begann der Mordprozess in Moabit. Pressefoto Wagner

Der mutmaßliche Schütze floh zuerst zu Fuß. Ein Security-Mann aus einem Supermarkt nahm die Verfolgung auf. Der Zeuge hatte beobachtet, dass nach einigen Schüssen der Pistolenschlitten klemmte und nicht mit weiteren Kugeln zu rechnen sei.

Der Sohn des Erschossenen ist im Februar zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden

Eine Kripobeamtin: „Der Zeuge sah, dass der Täter in ein weißes Auto einstieg.“ Es sei ein Beifahrer mit im Wagen gewesen. Der Security-Mitarbeiter konnte mit seinem Handy ein Foto machen – auch das Kennzeichen des Ford Fiesta war zu erkennen.

Intensive Ermittlungen liefen an, Überwachungskameras wurden ausgewertet. Am 11. Oktober schließlich die Festnahme des mutmaßlichen Mörders. Der Mann mit deutscher und irakischer Staatsbürgerschaft hüllte sich damals in Schweigen, er schwieg auch jetzt im Prozess. Sein Verteidiger: „Er wird sich vorläufig nicht äußern.“

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Der Sohn des Erschossenen ist im Februar zu fünf Jahren und neun Monaten Haft verurteilt worden – die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig. Er soll in der Nacht zum 22. Mai 2021 im Volkspark Humboldthain auf den Neffen von H. eingestochen haben. Die Polizei damals: Es seien zwei „größere und unübersichtliche Gruppen aus Männern und Frauen“ in einen Streit geraten. Die Situation eskalierte. Der Neffe von H. starb fünf Tage später im Krankenhaus. Der Prozess geht Donnerstag weiter.