Wegen Corona: Keine Lohnerhöhung für 100.000 Beschäftigte?
Interview mit dem Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Berlin-Brandenburg

Foto: imago/Rainer Weisflog
Mitten in zweiten Corona-Welle werden die Tarifverhandlungen für die rund vier Millionen Beschäftigten der deutschen Metall- und Elektroindustrie beginnen. In Berlin und Brandenburg sind es gut 100.000 in 150 tarifgebundenen Unternehmen. Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Berlin-Brandenburg, erwartet schwierige Verhandlungen mit der IG Metall.
Berliner KURIER: Die Gewerkschaft verlangt nach bisherigem Stand – die endgültige Forderung soll erst am 19. November vorgelegt werden – bundesweit vier Prozent mehr Lohn. Ist das für Ihren Verband akzeptabel?
Christian Amsinck: Wir kennen die abschließende Forderung der Gewerkschaft noch nicht. Die Tarifrunde findet in einer außergewöhnlich schwierigen Situation statt und vor dem Hintergrund eines beispiellosen Einbruchs von Produktion und Auftragseingang. In dieser Situation können die Firmen keine weiteren Kostenbelastungen verkraften.
Das sagen Arbeitgebervertreter doch vor jeder Tarifverhandlung.
Es wird kein Gewerkschafter widersprechen, wenn ich sage, dass die aktuelle Lage dramatisch ist.

Warum?
Wir hatten auch in Berlin und Brandenburg in diesem Jahr wegen Corona einen beispiellosen Einbruch, den die zwischenzeitliche Besserung im Sommer nicht wettgemacht hat. Der Aufholprozess wird Jahre dauern, ehe wir wieder auf dem Stand von 2019 sind.
Das behauptet sich leicht.
Ich kann das belegen. Von Januar bis August 2020 ist der Aufgangseingang in der Metall- und Elektroindustrie in Berlin um 8,5 Prozent zurückgegangen, in Brandenburg um 21,7 Prozent. Die Produktion wird in diesem Jahr bundesweit – Zahlen aus der Region liegen noch nicht vor – um 15 bis 17 Prozent schrumpfen, in der Autoindustrie liegt das Minus bundesweit seit Jahresbeginn bei 30 Prozent. Das ist weitaus schlimmer als in der Finanzkrise von 2008.
Berlin ist nicht Wolfsburg oder Stuttgart, was die Autoindustrie angeht.
Es gibt eine ganze Reihe von Produktionsbetrieben und Zulieferern in der Region. Die Krise und zusätzlich die Transformation hin zur Elektromobilität setzen die Branche unter Druck, wie man beispielsweise am Daimler-Werk in Marienfelde sieht.
Sind Pleiten in Sicht?
Bislang nicht. Jeder Unternehmer wird bestrebt sein, am Markt zu bleiben. Viel hängt davon ab, wann sich der Nebel lichtet, was die Entwicklung und Dauer der Pandemie angeht.
Die IG Metall denkt daran, die Arbeitszeit zu kürzen, die im Osten 38 Wochenstunden umfasst, im Westen und im Westteil Berlins 35 Stunden. Dafür verlangt sie nur einen teilweisen Lohnausgleich. Das würde die Unternehmen doch entlasten?
Nein, denn am Ende führt das im Gegensatz zur Entlastung durch das Kurzarbeitergeld aus der Arbeitslosenversicherung, das vielen Firmen der Region hilft und Arbeitsplätze erhält, zu höheren Kosten. Im Übrigen ist es bereits jetzt so, dass die Arbeitszeit zum Beispiel bei einem Mangel an Aufträgen um bis zu fünf Stunden ohne Lohnausgleich verringert werden darf. Also auf 30 Stunden im Westteil Berlins und 33 Stunden im Ostteil und Brandenburg. Das ist in der Vergangenheit in einigen wenigen Firmen auch geschehen.
Bei so vielen Neins: Was kann das Ziel der Verhandlungen sein?
Es wird vor allem um die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und den Erhalt von Arbeitsplätzen gehen, denn die Situation ist dramatisch. Eine Reihe von Unternehmen in den Bereichen Automobil und Luft- und Raumfahrt wie beispielsweise Rolls-Royce haben angekündigt, Personal abzubauen.
Hat die Politik aus der ersten Corona-Welle in Bezug auf die Industrie etwas gelernt?
Das Wichtigste ist, dass die Grenzen für die Aus- und Einfuhr von Waren nicht noch einmal geschlossen werden. 56 Prozent der Berlin Industrieproduktion geht in den Export, in Brandenburg sind es 38 Prozent. Es handelt sich nicht nur um die Ausfuhr fertiger Produkte, sondern auch von Teilen, die außerhalb Deutschlands montiert werden. Der Export nach China wird glücklicherweise deutlich besser. Rückgänge haben wir im Handel mit den USA, schwierig ist es auch mit Europa, wohin 60 Prozent der Exporte gehen.
Wenn nur für die Firmen verhandelt wird, die sich dem Flächentarifvertrag angeschlossen haben: Was bedeutet das für die anderen?
Viele Unternehmen orientieren sich an den Tarifabschlüssen, und nicht nur in unserer Branche, weil die Metall und Elektro die Schlüsselindustrie Deutschlands ist.
Wir werden im Dezember mit den Verhandlungen anfangen und hoffen auf einen Abschluss, der die Unternehmen in der Krise stärkt. Wir müssen jetzt zusammen anpacken.
Das Gespräch führte Gerhard Lehrke.