Die Eltern der getöteten Fabien, in der Mitte ihr Rechtsanwalt.<br>
Die Eltern der getöteten Fabien, in der Mitte ihr Rechtsanwalt.
Foto: Olaf Wagner

Ein großes Foto steht auf einem Tisch im Saal 135 des Kriminalgerichts Moabit. Es zeigt eine lächelnde junge Frau auf ihrem Balkon. Im Hintergrund sind blühende rote Geranien zu sehen. Britta und Christian Martini haben dieses Foto an diesem Dienstag mit in den Gerichtssaal gebracht. An den Ort, an dem sie auf Gerechtigkeit hoffen. Das Foto zeigt ihre Tochter Fabien, die mit 21 Jahren starb. Ihr Kleinwagen war in der Grunerstraße in Mitte von einem mit Blaulicht und Martinshorn fahrenden Streifenwagen der Polizei gerammt worden. Der Einsatzwagen soll mit Tempo 130 unterwegs gewesen sein, so steht es in der Anklage.

Britta und Christian Martini haben zwei Jahre und neun Monate auf diesen Moment gewartet, auf diesen Tag, an dem sie Peter G. im Gericht gegenübersitzen. Der 53-jährige Polizeihauptkommissar saß am Steuer des Polizeiwagens. Nun sitzt er wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung vor dem Amtsgericht Tiergarten. Christian Martini nennt ihn den „Mörder meiner Tochter“. Denn ein weiterer Vorwurf steht nicht in der Anklage, aber im Raum: Peter G. soll bei der Einsatzfahrt betrunken gewesen sein.

Fabien Martini starb am 29. Januar 2018. Sie kam mit ihrem Renault Clio vom Gewerbeamt. Am 1. Februar wollte sich die junge Frau ihren Traum verwirklichen und ihr eigenes Café in der Nähe des Checkpoint Charlie eröffnen. Sie sei dabei gewesen, ihre To-do-Liste abzuarbeiten, wie ihre 49-jährige Mutter sagt. In der Rathausstraße habe Fabien bei einer Bank ein Geschäftskonto eröffnen wollen. Deswegen wohl suchte sie auf dem Mittelstreifen der Grunerstraße einen Parkplatz.

Peter G. war zu dieser Zeit mit einem Kollegen im Streifenwagen auf dem Weg zu einer Raubstraftat in der Mall of Berlin. Mit Tempo 130 soll er durch den Tunnel am Alexanderplatz und in das einparkende Auto von Fabien Martini gerast sein. Die junge Frau starb noch am Unfallort. Die beiden Beamten im Einsatzwagen wurden leicht verletzt.

Der Fall sorgte für Aufsehen, weil erst Monate später bekannt wurde, dass Peter G. betrunken gewesen sein soll. Ein anonymer Hinweis aus der Charité, in die die beiden am Unfall beteiligten Polizisten gebracht worden waren, belastete Peter G. Seine Krankenakte wurde beschlagnahmt. Aus ihr soll hervorgehen, dass er zum Zeitpunkt des Unfalls 0,8 Promille Alkohol im Blut hatte. Die Staatsanwaltschaft klagte Peter G. zwar auch wegen „vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung infolge Genusses alkoholischer Getränke“ an, doch das Gericht ließ den Anklagepunkt der Trunkenheit im Straßenverkehr nicht zu, weil die Beschlagnahme der Krankenakte rechtswidrig gewesen sei.

1002 Tage sind seit dem Tod von Fabien Martini vergangen. 1002 Tage, an denen Peter G. nicht ein einziges Wort an die Eltern und den Bruder von Fabien Martini gerichtet hat. Der Polizist, der seit mehr als 30 Jahren Dienst tut, schweigt auch an diesem ersten Verhandlungstag. Er sitzt zusammengekauert auf seinem Stuhl, scheut den Blick zu den Eltern und lässt stattdessen seinen Anwalt reden, lässt erklären, dass er sich zu den Vorwürfen „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht äußern“ werde. „Sie können sicher sein, dass dem Angeklagten der Unfalltod ihrer Tochter sehr, sehr nahe geht und es ihm sehr, sehr leid tut“, sagt Verteidiger Jens Grygier den Eltern.

Lesen Sie auch: Polizist rast Fabien (21) tot, Eltern klagen an: „Man hat uns einfach alleingelassen“ >>

An diesem ersten Verhandlungstag, den Britta und Christian Martini als Nebenkläger verfolgen, werden die ersten Zeugen gehört. Eine 33-jährige Frau erzählt, dass sie von dem rasant vorbeifahrenden Polizeiwagen fast erfasst worden sei. Die Druckwelle habe sie zurückgeschoben auf die Mittelinsel. „Ich hatte nur einen Gedanken, als das Polizeifahrzeug an mir vorbeifuhr: Das Auto hebt gleich ab“, erzählt sie. Dann sei das Fahrzeug in den Kleinwagen von Fabien Martini gekracht.

Ein 56-jähriger Polizeibeamter vom Verkehrsunfallkommando spricht von einem riesengroßen Trümmerfeld, das sich ihnen am Unfallort geboten habe. Die Beamten aus dem Unfallwagen seien bei seinem Eintreffen bereits ins Krankenhaus gebracht worden. Es habe keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass der Fahrer des Einsatzautos Alkohol getrunken habe. Auch eine 38-jährige Polizeibeamtin, die noch mit Peter G. gesprochen haben will, hat bei ihrem Kollegen nach eigenen Worten keine Anzeichen für eine Alkoholisierung bemerkt.

Die Anwälte von Fabiens Eltern sehen das anders. Sie haben beantragt, noch zwei weitere Zeugen zu laden. Ihnen soll Peter G. bei einem nachbarschaftlichen Treffen angeblich erzählt haben, dass er wegen des Unfalltods von Fabien Martini wohl ins Gefängnis müsse – weil er getrunken habe und nicht mehr in der Lage gewesen sei, ein Dienstfahrzeug zu fahren. Noch hat das Gericht dem Antrag nicht stattgegeben. Es will am nächsten Verhandlungstag darüber entscheiden.

Christian Martini bringt jeden zweiten Tag frische Blumen an den Ort, an dem seine Tochter starb. Der 51-jährige Gerüstbauer ringt mit den Tränen, als er sagt, dass sein Alltag ohne Fabien immer schlimmer, sein Hass auf Peter G. immer größer werde. Im Prozess lässt er kaum einmal den Blick von dem Angeklagten.