Anwohner stinksauer: Warum das Kanzleramt 200 Garagen in Karlshorst klaut
Nutzer und Linke protestieren, aber langfristig ist die Beseitigung der Gebäude aus DDR-Zeiten nicht zu verhindern

Lehrke
Es ist ein Berliner Rätsel: In Karlshorst sollen 200 Garagen abgerissen werden, weil das Bundeskanzleramt in Mitte erweitert wird. Die Nutzer der zum größeren Teil 1975 bis 1976 entstandenen Garagenzeilen, die im Winkel von Kötztinger und Zwieseler Straße versteckt im Grünen liegen, sind verärgert.
Der Polier Dietmar Wacker (62) und der Rentner Uwe Stephan (64) beispielsweise haben in einer Garage ihre Motorräder untergestellt, werkeln und putzen. Mit einem dritten Motorrad-Freund teilen sie sich eine Garage, zahlen zusammen 125 Euro im halben Jahr. Jetzt rätseln sie, wo sie ihre Zweiräder künftig im Winter abstellen sollen. Es bestehe die Möglichkeit, sie dann bei einem Motorradhändler unterzustellen, was aber teurer sei und ihre kleine Schraubergemeinschaft sprengen würde.
Die Garagen sind angeblich baufällig
Der Bund erklärt die Abrisspläne so: Wegen des Neubaus in Mitte, der 2024 beginnen soll und Flächen versiegelt, müsste als Ausgleichsmaßnahme ein anderes Grundstück „renaturiert“ werden. In Abstimmung mit dem Bezirksamt Lichtenberg habe man in einer Machbarkeitsstudie das 18.000 Quadratmeter messende Garagengrundstück als geeignet gefunden, das dem Bund sowie zu einem kleinen Teil Berlin gehört. Es sei „versiegelt“, so dass Regenwasser nicht versickern könne, und im Übrigen seien die Garagen teilweise baufällig.
Den Eindruck machen sie nicht, und Nutzer wundern sich: Die Kopfsteinpflaster-Wege zwischen den Garagen seien in Kies gebettet, der Wasser durchlässt, und entlang der langgestreckten Gebäude befinden sich Grünstreifen, in denen das Wasser versickern könne. Der Abriss würde auch die Parkplatznot in der Gegend verschärfen. Denn rund 90 Garagen würden von Autofahrern aus der näheren Umgebung genutzt, die müssten ihre Fahrzeuge auf die Straßen stellen.

Schultes Frank Architekten
Die Linke in Person der Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch und des Fraktionsvorsitzenden in der BVV Lichtenberg, Norman Wolf, hatten sich des Problems angenommen. Auf ein Schreiben Lötzschs kam die Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin im Finanzministerium, Bettina Hagedorn, dass die Fläche in Karlshorst als einzige der bislang acht bundeseigenen Ausgleichsflächen in Berlin in diesem Fall geeignet gewesen seien.
Hagedorn lässt in dem Schreiben anklingen, dass der Bund auch außerhalb Berlins Ausgleichsflächen anbieten könne, das habe Berlin aber in der Vergangenheit immer abgelehnt.
„Garagenabriss ist sinnlos“
Reiner Schulze (61) ist der kommissarische Vorsitzende der „Interessengemeinschaft Garagenbau“, die die Nutzer von 150 Garagen vertritt: „Der geplante Abriss ist sinnlos, weil wir hier nur 1000 Quadratmeter wasserundurchlässige Fläche haben, weniger als beim Erweiterungsbau des Kanzleramts versiegelt werden.“
Schulze hegt noch Hoffnung: „Wir versuchen, einen Runden Tisch mit dem Bund, dem Land Berlin und dem Bezirk zu schaffen, um die Garagen erhalten zu können beziehungsweise so lange weiter zu betreiben, bis das Kanzleramt erweitert wird. Da können noch, siehe Schönefeld, einige Jahre ins Land ziehen.“ Grundsätzlich seien die Gebäude nicht auf Dauer zu halten, weil der Abriss Teil der Baugenehmigung für die Erweiterung des Kanzleramts sei.

Lehrke
Für den Fall, dass das nicht gelingt, gibt es allerdings bei Nutzern den Gedanken, selbst zu kündigen. Das habe einen finanziellen Grund, sagt Schulze: „Für sie ist die Überlegung einer Kündigung vor dem Dezember 2022 eine schwerwiegende finanzielle Entscheidung. Nach dem Schuldrechtsanpassungsgesetz, das mit dem Jahr 2022 ausläuft, bedeutet eine Kündigung bis dahin eine Beteiligung an der Hälfte der Abrisskosten.“
Abriss kann die Garagen-Nutzer teuer kommen
Wenn dagegen die Grundstückseigentümer – die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA mit 15.200 qm) und ihr Berliner Pendant BIM mit 2800 qm– vom 1. Januar 2023 an kündigen, müsse das Areal auf Verlangen „komplett beräumt auf Kosten der Nutzer übergeben werden. Das wären nach hochgerechneten Schätzungen einer Abrissfirma je nach Kontaminierungsgrad mit Asbest und Dachpappen rund 7500 Euro pro Garage.“
Grundsätzlich hält Schulze „in der heutigen Zeit des ökologischen Wandels derartige Garagenanlagen“ für nicht mehr zeitgemäß, aber eine Übergangsfrist von fünf bis acht Jahren sei durchaus sinnvoll. „Ein Weiterbetrieb des Areals mit Stromanschluss als Parkfläche mit diversen Ladesäulen für das Wohngebiet ist die bessere Alternative für den Klimaschutz der Hauptstadt.“
Die BImA teilte mit, dass mit dem Bezirksamt Lichtenberg noch über den Zeitpunkt der erforderlichen Kündigungen zu reden sei. Das gelte auch für die Abrisskosten: „Dieser Termin musste coronabedingt immer wieder verschoben werden und konnte daher noch nicht stattfinden. Insofern gibt es bisher keine konkreten Kündigungstermine oder Vereinbarungen zu den Abrisskosten.“
Die „Erstanlage der Renaturierung“ werde innerhalb von zwei Jahren nach Beginn der Bau- bzw. Bauvorbereitungsmaßnahmen für den Erweiterungsbau des Bundeskanzleramtes begonnen. Die Kündigung der Garagen und die Entsiegelung fänden entsprechend vorher statt.