Zweimal durchgefallen, dann doch gewählt: Kai Wegner (CDU) ist neuer Regierender Bürgermeister
Der Berliner CDU-Chef erhielt im ersten Wahlgang 71 Stimmen, 80 hätten es sein müssen. Im zweiten Wahlgang fehlte ihm mit 79 eine Stimme. Im dritten Wahlgang klappte es offenbar mithilfe der AfD.

86 von 159 Sitzen haben CDU (52) und SPD (34) zusammen im Abgeordnetenhaus, eine nicht gerade riesige, aber ausreichende Mehrheit, um Berlins CDU-Chef Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeisters zu wählen und der SPD nach 22 Jahren das Rote Rathaus abzunehmen. Aber im ersten und zweiten Wahlgang klappte es am Donnerstag nicht, es musste einen dritten geben. Dann wurde er mit 86 Stimmen gewählt, und die neue Regierung hat eine große Hypothek: Offenbar half die AfD Kai Wegner ins Rote Rathaus, weil die Koalition nicht die notwenige Stimmenzahl aufbrachte.
Wegner erzielte beim ersten Wahlgang nur 71 von 159 abgegebenen Stimmen, 80 (die absolute Mehrheit) wären nötig gewesen. Offenbar hatten 15 Abgeordnete ihm bei der geheimen Abstimmung die Gefolgschaft verweigert.
Im zweiten Wahlgang erzielte Wegner dann 79 Stimmen, eine weniger als nötig und sieben weniger als die Koalition hätte aufbieten können.
Im dritten Wahlgang erhielt er dann 86 Stimmen.
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Geraune im Foyer des Abgeordnetenhauses
Schon im Foyer des Abgeordnetenhauses hatte es sich angedeutet, dass es ein Problem geben könnte. SPD-Abgeordnete raunten, Wegner könne bei der geheimen Wahl nicht alle Stimmen aus ihren Reihen bekommen.
Sie repräsentieren den großen Teil der SPD-Basis, die sich in einer Abstimmung zu knapp 46 Prozent gegen die Koalition ausgesprochen hatten.
Wegner musste in eine zweite Wahl-Runde
Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld unterbrach nach dem ersten Wahlgang die Sitzung auf Antrag der CDU um 12.45 Uhr für eine halbe Stunde.
Die CDU wollte beraten, ob Wegner in eine zweite Runde geht. Das tat er, und um 13.54 Uhr gab es die zweite Pleite und eine erneute Pause von jetzt 90 Minuten.
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Der frühere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, bis 2001 der bislang letzte Berliner CDU-Regierungschef, sagte dem KURIER vor dem zweiten Wahlgang: „Die Quertreiber sollten beachten, dass die einzige Alternative zur Wahl Kai Wegners in Neuwahlen besteht.“
Sollte Wegner auch im zweiten Wahlgang scheitern, müsste der Antrag folgen, das Parlament mit Zwei-Drittel-Mehrheit aufzulösen und die Berliner wieder zu den Urnen zu rufen. Laut Artikel 54 der Berliner Verfassung wäre das spätestens acht Wochen nach dem Beschluss der Selbstauflösung.

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Wegner soll etwas geahnt haben
Aus CDU-Reihen war zu hören, Wegner hätte damit gerechnet, im ersten Wahlgang nicht gewählt zu werden, wenn auch nicht in dieser Deutlichkeit.
In der SPD-Fraktion wurde kolportiert, viele CDU-Abgeordnete hätten nicht für Wegner gestimmt. Die SPD-Fraktion bestehe nämlich bis auf fünf oder sechs Leute aus Koalitionsbefürwortern.
Das Problem sitze vielmehr bei der CDU: Dort gebe es Missstimmung, weil Wegner der SPD mit fünf Senatorenposten so viele wie der CDU zugebilligt habe, obwohl die CDU bei der Abgeordnetenhauswahl zehn Prozent mehr erzielt hatte. Karrierewünsche erfüllten sich nicht.
Bei Probeabstimmung gab es eine klare Mehrheit in der SPD-Fraktion für Wegner
In einer geheimen Probeabstimmung in der ersten Sitzungspause jedenfalls hatten 32 SPD-Abgeordnete für Wegner votiert, nur zwei gegen ihn. Parallel hatte die CDU abstimmen lassen, es gab keine Gegenstimme.
Falko Liecke (CDU), Sozialstadtrat von Neukölln und als Staatssekretär für Jugend und Familie vorgesehen, sagte nach der zweiten Pleite: „Das hat beide Seiten kalt erwischt.“ Ein Denkzettel sei zwar legitim. „Aber wenn beim zweiten Wahlgang nicht begriffen wurde, was die Nichtwahl für die Stadt bedeutet, verwundert mich sehr. Nämlich absoluter Stillstand.“
Die bisherige Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), als Wirtschaftssenatorin in einem Wegner-Kabinett vorgesehen, sagte dem KURIER vor der möglichen dritten Wahlrunde, Berlin brauche jetzt eine handlungsfähige Regierung: „Ich hoffe, dass die Parlamentarier jetzt so vernünftig sind, dass sie das jetzt ermöglichen.“
Gleichzeitig breitete sich unter anderem die Befürchtung aus, die AfD (17 Abgeordnete) könnte die Chance nutzen, sich in einem dritten Wahlgang zum Königsmacher zu stilisieren. Stimmte sie dann für Wegner, käme es zu einer schwarz-roten Koalition von AfD-Gnaden. Und genau das geschah: Aus „gesamtstädtischer Verantwortung“ habe man im dritten Wahlgang für ihn gestimmt.
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In einem dritten Wahlgang ist laut Berliner Verfassung nicht mehr die absolute Mehrheit an Ja-Stimmen nötig, es reicht eine einfache Mehrheit.
Die genaue Auslegung der Verfassungsregel war allerdings auch Linken und Grünen unklar. Linke und Grüne beantragten, dass der Ältestenrat angesichts der außergewöhnlichen Situation zusammentreten müsse.
Bis auf die AfD stimmten alle Fraktionen zu, und die Sitzung des Plenums wurde um 15.37 Uhr zum dritten Mal unterbrochen, diesmal für eine halbe Stunde.
Anschließend beantragten Grüne und Linke, den dritten Wahlgang auf die nächste Sitzung zu vertagen, was mit der Mehrheit von CDU und SPD abgelehnt wurde.
Schließlich startete der dritte Wahlgang, bei dem Wegner dann Erfolg hatte und um 16.45 Uhr von Parlamentspräsidentin vereidigt wurde.
Nun endlich konnte Wegner mit seiner Mannschaft ins Rathaus fahren, wo er sie als Senatoren ernannte. Erst gegen 19.45 Uhr wurden sie von Seibeld im Parlament vereidigt.
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Regierungswechsel nach Wiederholungswahl
Die CDU hatte die wegen der vergurkten Wahl vom 26. September 2021 vom Verfassungsgerichtshof verordneten Wiederholungswahl am 12. Februar 2023 mit 28,2 Prozent gewonnen, mit deutlichem Abstand zu SPD und Grünen mit jeweils 18,4 Prozent. Weiter abgeschlagen waren Linke (12,2) und AfD (9,1), die FDP flog aus dem Parlament, weil sie die 5-Prozent-Hürde nicht genommen hatte.
Trotz der Verluste der bisherigen rot-grün-roten Koalition wäre eine Fortsetzung möglich gewesen, die Verhandlungen aber scheiterten.
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Franziska Giffey seit 12 Uhr nicht mehr Berlins Regierungschefin
Daraufhin verständigten sich CDU und SPD auf ein Bündnis. Franziska Giffey musste ihr Amt zugunsten von Kai Wegner aufgeben. Sie teilte dann auch schriftlich der Parlamentspräsidentin Cornelia Seibeld (CDU) mit, dass sie zurücktritt: Seit Donnerstag, 12 Uhr, dem Beginn der Wahlsitzung, ist sie nicht mehr Regierende Bürgermeisterin.
Im Gegenzug für den Positionswechsel im Roten Rathaus sollte die SPD trotz ihres Rückstands auf die CDU fünf der zehn Senatorenposten erhalten.