Filiale in der „Wilmersdorfer“
Karstadt-Verkäuferin am Ende: „Ich fühle mich wie entsorgt, wie weggeworfen“
Der Kaufhauskonzern will sechs von elf Häusern in Berlin schließen. Ein Treffen mit einer Verkäuferin des Warenhauses in der Wilmersdorfer Straße, einer einst legendären Einkaufsmeile.

Der S-Bahnhof Charlottenburg war früher ein hektischer Ort, als die Massen noch in die Wilmersdorfer Straße pilgerten, in die allererste Fußgängerzone Berlins mit den vielen Kaufhäusern. Doch heutzutage steigen am Mittag weniger Leute aus der Bahn, als Bettler vor dem Bahnhof sitzen.
Von Ansturm keine Spur. Auf den 100 Metern bis zur Wilmersdorfer ist niemand im großen Friseurladen und auch niemand im Streetfood-Laden – trotz der Mittagszeit. Auf der Wilmersdorfer ist es immerhin halbwegs voll, aber gleich das erste große Kaufhaus Ecke Kantstraße steht leer.
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„Da war bis letzten Sommer Peek & Cloppenburg drin“, sagt Christine Neumann, einer Karstadt-Verkäuferin. „Wir haben immer gerätselt, wer da reingehen wird. Wir haben gehofft, dass es dann mit der Straße wieder aufwärts geht. Aber es kam niemand.“
1000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel
Neumann ist eine Verkäuferin, mit der wir auf einer Bank in der Wilmersdorfer sitzen und über die Stimmung im Haus reden. Denn Karstadt, das größte Kaufhaus dieser einst legendären Einkaufsmeile, steht vor dem Aus. Der Konzern Galeria Karstadt Kaufhof will in Berlin sechs von elf Häusern schließen, dazu eines in Potsdam. 1000 von 2100 Arbeitsplätze stehen in Berlin auf dem Spiel.
Auf die Frage, wie groß der Frust bei den Verkäuferinnen ist, sagt Christine Neumann: „Frust kann man das gar nicht nennen. Man müsste ein neues Wort erfinden, aber uns fehlen die Worte.“
Sie lobt die Betriebsräte, die weiterkämpfen wollen. „Der Umsatz ist bei uns zwar zurückgegangen, war aber in Ordnung. Wir haben ja im vorigen Jahr noch umgebaut und eine völlig neue Fashion-Etage eröffnet.“ Das Problem seien die hohen Mieten. Nun will sich auch der Senat einschalten und mit den Vermietern sprechen, um Mietsenkungen zu erreichen. Wie sind die Hoffnungen im Haus? „Nicht so übergroß, aber es wäre natürlich toll“, sagt Christine Neumann. Die 51-Jährige hat 1985 Einzelhandelskauffrau in der Schloßstraße gelernt und ging gleich danach zu Karstadt. Eine echt Karstadt-Frau.
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Damals waren das große stolze Häuser, doch inzwischen haben sie ein grundsätzliches Problem, nicht erst seit Corona. Es gibt nun mal einen großen Unterschied zwischen Einkaufen und Shoppen. Beim Einkaufen besorgen die Leute lebensnotwendige Dinge: Brot, Butter oder Brokkoli. Shoppen ist nicht überlebensnotwendig, sondern eine Freizeitbeschäftigung. Die Leute schlendern durch Geschäfte und schauen, ob sie sich vielleicht eine neue Hose kaufen, die sie nicht unbedingt brauchen, die aber schön ist.
Kaufhäuser leben von Leuten, die gern shoppen. Doch seit Corona kümmern sich viele Leute mehr ums Einkaufen: Gehen mit Maske in Supermärkte und kaufen den Rest im Internet. Das machte Jeff Bezos, den Gründer von Amazon, angeblich seit Jahresbeginn um 29 Milliarden Dollar reicher, bringt klassische Kaufhäuser aber an den Rand des Ruins.
„Das ist wie Leichenfledderei“
Als ein paar junge Mädels an unserer Bank vorbeigehen, sagt Christine Neumann verbittert: „Ja, die kommen schon zu uns rein, lassen sich beraten, probieren alles mögliche. Doch sie kaufen nichts. Sie gehen nach Hause und bestellen billig im Internet.“
Die 51-Jährige zeigt auf das leere Haus in der Nachbarschaft. „Da war C&A drin, die sind auch schon weg. Selbst McGeiz ist dicht. Der viele Leerstand sorgt dafür, dass immer weniger Leute kommen.“ Gleichzeitig sind die Schlangen bei Karstadt doch heute recht lang, nicht nur wegen der Corona-Abstandsregeln. „Das ist wie Leichenfledderei“, sagt Christine Neumann. „Seit die Schließung bekannt ist, kommen die Leute und kaufen wie verrückt.“ An den Schaufenstern locken Aufkleber mit der Aufschrift: „Bis zu 50 Prozent reduziert.“
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Neumann erzählt, dass die Mehrheit der Kunden inzwischen älter ist. „Die kaufen nicht im Internet. Meist sind es ältere Stammkunden, die auf uns angewiesen sind.“
Die 100 Verkäuferinnen dieser Filiale sollen in den nächsten Wochen ihre Kündigung bekommen. „Niemand weiß, wann“, sagt sie. Es ist ihre zweite Insolvenz innerhalb von zehn Jahren. „Das absolute Drama. Es ist, wie mit einem Haus, in das schon mal ein Flugzeug reingefallen ist. Das kauft man vielleicht, weil man denkt: So etwas passiert nicht zweimal.“
Investor versprach Aufwind
Vor zehn Jahren waren die Hoffnungen groß. Denn im Herbst 2010 stieg der Milliardär Nicolas Berggruen ein. Überall hieß es, nun gehe der „Traum vom guten Investor“ in Erfüllung. Doch auch dieser Traum platzte.
„Wir haben alle auf Berggruen gehofft, wir haben auf Lohn verzichtet. Ich war nie krank. Wir haben gesagt: Wir bauen Karstadt wieder auf. Aber nichts hat sich bewahrheitet“, sagt Christine Neumann.
„Damals bei der ersten Insolvenz habe ich alle Tränen geweint. Bei mir sind keine Tränen mehr da, nur noch Wut“, sagt sie und doch werden ihre Augen feucht. „Was soll ich denn machen?“ Im Einzelhandel gebe es keine Vollzeitstellen mehr, nur noch Teilzeit, Jobs zum Mindestlohn bei Aldi, Lidl oder im Baumarkt. „Ich habe schon überlegt, ob ich das Fenster aufmache und springe“, sagt sie. „Aber dann sagte ich mir: Es kann doch nicht sein, dass Karstadt so sehr dein Leben bestimmt.“
Am meisten ärgert sie, dass die tolle Truppe zerfallen wird. „Im Verkauf merken die Kunden sofort, ob du mit Herzblut dabei bist. Nur mit einer starken Truppe bist du gut in der Fläche“, sagt sie. „Und wir sind eine richtig gute Truppe. Und das soll nun alles vorbei sein?“ Sie steht von der Bank auf. „Ich fühle mich wie entsorgt, wie weggeworfen“, sagt sie und geht zurück ins Kaufhaus. Zu ihren Kolleginnen und ihren Kunden.