Theater um NS-Vergangenheit einer Familie
Uraufführung im Berliner Gorki: Am Wannsee spuken die Kinder der Mörder herum
Regisseur Ersan Mondtag hat sich ein gut ausgeleuchtetes Thema vorgenommen: die NS-Vergangenheit deutscher Familien. Sein Versuch ist leider gescheitert.

Mit der Uraufführung von „Geschwister“ am Berliner Maxim-Gorki-Theater erzählt Regisseur Ersan Mondtag von drei Generationen einer westdeutschen Familie mit NS-Vergangenheit.
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Ein Haus am Wannsee. Die Familie sitzt stumpf und angriffslustig an der großen Tafel. Wir blicken in einen Guckkasten. Wir sehen Röhrenradio, Standuhr, Hirschgeweihe, „Im weißen Rößl“-Deko, viel dunkles Holz. Wir hören gediegene Rundfunk-Reportagen, das Ticken einer großen Uhr. Wir riechen den Mief der 60er-Jahre und bewegen uns gefühlt irgendwo im Heimat-Kitsch des Dritten Reichs. Wären da nur nicht die semitischen Gesichter, die in deutschen Kleidern über die Bühne schleichen. Ein Regieeinfall.
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Im Radio dirigiert der große Wilhelm Furtwängler die „Eroica“ von Beethoven, die orientalische Hausangestellte (Tina Keserovic) deckt den Tisch ab, der stotternde Junge ist eine Schande für die ganze Familie und der Hausherr (Falilou Seck) verteidigt, wenn er nicht gerade sexistische und rassistische Sprüche absondert, den Schah, diesen „arischen Perser“, gegen protestierende Studenten auf Berlins Straßen.

Mit der Uraufführung von „Geschwister“ erteilt uns Ersan Mondtag – in mehreren Zeitsprüngen, die bis in die Nullerjahre reichen, bis zu den ersten Morden des NSU – eine Lektion in deutscher Geschichte. Das dunkle Erbe der Nazis lebt weiter. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. „Die Kinder der Schweige-Generation treten ihr Erbe an“.
Leider wird die Lehrstunde im Maxim-Gorki-Theater überraschend schnell zur Leerstunde. Über die (publizistisch und wissenschaftlich) gut ausgeleuchtete deutsche Vergangenheit lernen wir wenig Neues. Die Dialoge klingen inhaltsleer und abgestanden, die Choreografie der Performance bleibt steif, und die Figuren wirken wie Schreckgespenster einer längst stillgelegten Geisterbahn.
Die NS-Vergangenheit wirkt aufgesetzt
Auch wenn „Geschwister“ optisch interessant daherkommt – so sieht die erste Hälfte streckenweise wie ein grotesker Schwarz-Weiß-Film aus –, der eineinhalb Stunden dauernde Abend wirkt, als habe Mondtag gegen alle inneren Widerstände versucht, eine lustlose Inszenierung abzuliefern, und irgendwie ist es ihm dann tatsächlich auch gelungen. Das allerdings mit Präzision und handwerklicher Brillanz.
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Wie man auf so hohem Niveau ein derart großes Thema so banal verformen kann, ist eigentlich nicht nachvollziehbar. Schade, das kann Mondtag deutlich besser. Die Schauspieler (darunter David Bennent als „missratener“ Sohn) tragen an dieser Enttäuschung jedenfalls keine Schuld. Höflicher Applaus und ein oder zwei Buhs für den Regisseur.
Karten für „Geschwister“ im Maxim-Gorki-Theater gibt es ab 10 Euro im Internet oder per Telefon 030 20221-115.
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