UPDATE: Berliner Feuerwehr ruft Ausnahmezustand aus +++ Brandenburger von Wahlplakat erschlagen, S-Bahnen rammen Bäume. So fegte Sturmtief „Nadia“ über Berlin hinweg +++ Sturmflut in Norddeutschland +++ Hamburg unter Wasser
Feuerwehr im Dauereinsatz. Bahnverkehr in Norddeutschland behindert, Fähren fahren nicht.

Das Sturmtief „Nadia“ hat am Samstag und in der Nacht zum Sonntag zum Teil orkanartige Böen und eine Sturmflut nach Berlin/Brandenburg und Norddeutschland gebracht: Verspätete Züge, umgestürzte Bäume, umherfliegende Gegenstände und eingestellte Fährverbindungen. Feuerwehr und Polizei mussten Hunderte Male ausrücken. Eine Verschnaufpause gibt es nicht: Dem Deutschen Wetterdienst (DWD) zufolge soll der Sturm noch bis Sonntagvormittag andauern. Und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) warnt bereits vor der nächsten Sturmflut.
Besonders tragisch: In Beelitz (Potsdam-Mittelmark) wurde ein 58 Jahre alter Fußgänger durch ein umstürzendes Wahlplakat tödlich verletzt. Der Mann sei trotz Reanimationsversuchen wenig später gestorben, berichtete die Polizei am Sonntag.
Das 3,5 Meter mal 2,5 Meter große Plakat sei am Sonnabend kurz nach 22 Uhr nach einer starken Windböe umgefallen und habe den 58-Jährigen am Kopf getroffen. Der Mann sei mit seiner Freundin und einem Bekannten spazieren gewesen und einige Meter vor seinen Begleitern gelaufen, heißt es im Polizeibericht.

Das aus einem Metallkorpus und Sperrholz bestehende Plakat sei mit Metallstangen im Boden verankert gewesen. Zur Ursache des Unfalls laufen weitere Ermittlungen. Das Plakat war zur Landratswahl am kommenden Sonntag in Potsdam-Mittelmark aufgestellt worden.
Auch Berlin erwischte es: Zwischen 20 und 7 Uhr rückten die Einsatzkräfte zu rund 250 Unwetter-Einsätzen aus.
Am Sonntagmorgen rief die Berliner Feuerwehr wegen des Sturmtiefs „Nadia“ dann den Ausnahmezustand aus. Die Berliner wurden gebeten, das Haus möglichst nicht zu verlassen, wie die Feuerwehr per Twitter mitteilte.
Kleinere Wasserschäden sollte man selbst regeln. Die Rettungskräfte sollen sich demnach auf größere Einsätze konzentrieren.
Spandau: S-Bahn rammt Baum
Heftig betroffen war die S-Bahn. Auf der Strecke zwischen Spandau und Pichelsberg stürzte ein Baum auf die Bahngleise. Ein Zug der Linie S3, Richtung Zentrum unterwegs, erfasste den Baum und wurde im Frontbereich stark beschädigt. Ein S-Bahn-Zug aus der Gegenrichtung rammte zudem Äste, die sogar in der Front stecken blieben.
Während die Feuerwehr das Holz unter den Zügen hervorholte, blieben die Fahrgäste drinnen, bis die S-Bahnen zum nächsten Bahnhof fuhren beziehungsweise geschleppt wurden. Beide müssen jetzt in der Werkstatt repariert werden. Unterbrochen war die Linie S3 auch zwischen Friedrichshagen und Erkner.
„Baum im Gleis“ hieß es weiterhin auf der Strecke der S25 zwischen Tegel und Hennigsdorf sowie zwischen Lichterfelde-Ost und Südende. Am Morgen wurde auch noch der Ring zwischen Tempelhof und Südkreuz teilweise unterbrochen. Dort war nur noch ein Gleis frei, die S45 wurde eingestellt, bei den Linien S41, S42, S46 und S47 kam es zu Verspätungen und Ausfällen.
Weitere umgestürzte Bäume unterbrachen bei Hegermühle die S5 und bereits am Abend die S2 zwischen Marienfelde und Lichtenrade.

Hunderte Einsätze für die Feuerwehr
Auch im Treptower Ortsteil Baumschulenweg richtete der Sturm Schäden an: Hier brach in der Trojanstraße ein Ast von einem Baum ab und traf einen geparkten VW. Wie Reporter von vor Ort berichten, trug die Berliner Feuerwehr den Ast nach und nach ab. Verletzt wurde offenbar niemand. Das Auto erlitt jedoch einen Totalschaden.

Auf der Halbinsel Stralau in Friedrichshain begrub ein Baum zwei Fahrzeuge unter sich. Gegen 22.40 Uhr krachte ein Baum auf mehrere Fahrzeuge auf der Straße „Fischzug“.
In der Charlottenstraße in Lankwitz brach ebenfalls ein Baum ab. Er soll mindestens 12 Meter hoch gewesen sein und auf die andere Straßenseite geraten sein. Nach ersten Erkenntnissen konnte der Baum nicht sofort abgetragen werden. Führungskräfte der Berliner Feuerwehr berieten offenbar bis spät in die Nacht die weitere Vorgehensweise.
Die BVG teilte mit, dass 18 Buslinien bis zum Sonntagvormittag zeitweilig unterbrochen waren: „Meist waren umgestürzte Bäume, herabstürzende Dachziegel oder herumfliegende Gegenstände die Ursachen. Vereinzelt konnten Haltestellen nicht angefahren werden, weil die Wartehäuschen beschädigt waren.“
Bei der Straßenbahn traf es sieben Linien, vorwiegend wegen Geästs in den Oberleitungen. Die Fähre F12 über die Dahme zwischen Grünau und Wendenschloss wurde am Sonntagmorgen eingestellt.

Hamburg unter Wasser
Allein in Hamburg habe es bislang rund 300 Unwetter-Einsätze gegeben, sagte ein Polizeisprecher am frühen Sonntagmorgen. Zuvor hatte eine schwere Sturmflut den Fischmarkt im Stadtteil St. Pauli unter Wasser gesetzt. Der Scheitel wurde nach Angaben des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) gegen 0.17 Uhr erreicht. Der Wasserstand lag 2,84 Metern über dem mittleren Hochwasser, wie eine Sprecherin mitteilte. Sonntagmittag kam das Wasser mit der Flut erneut auf den Fischmarkt, der Pegel stieg auf 2,60 Meter über dem mittleren Hochwasser. Kurz danach wurde die Sturmflutwarnung für die deutsche Nordseeküste aufgehoben. Das BSH hatte in Hamburg mit Wasserständen von bis zu 3 Metern über dem mittleren Hochwasser gerechnet.
„Land unter“ in Schleswig-Holstein
In der Nacht zum Sonntag gab es nach Angaben des BSH auch an anderen Küstenabschnitten eine Sturmflut. „Zwar nicht überall eine schwere Sturmflut wie in Hamburg“, sagte die Sprecherin. Es sei aber die gesamte deutsche Nordseeküste betroffen gewesen. In Bremerhaven habe der Scheitelwert beispielsweise bei 2,14 Metern über dem mittleren Hochwasser gelegen.
Der Sturm bescherte auch Feuerwehr und Polizei in Mecklenburg- Vorpommern viele Einsätze. In Schwerin und Umgebung sei man knapp 200 Mal ausgerückt, sagte ein Feuerwehrsprecher. Auch in Stralsund berichtete das Lagezentrum, dass man alle Hände voll zu tun habe.
Wegen Sturmschäden kam es in Norddeutschland außerdem zu massiven Problemen im Bahnverkehr. Am frühen Samstagabend stellte die Deutsche Bahn den Fernverkehr in Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bremen für etwa 50 Minuten ein. Betroffen waren insbesondere die ICE-Strecken zwischen Hamburg und Bremen sowie zwischen Hamburg und Berlin. Dort komme es auch weiterhin zu großen Beeinträchtigungen, wie ein Sprecher sagte
Im Regionalverkehr gibt es laut Bahn ebenfalls Zugausfälle und Verspätungen. Reisende und Pendler sollten sich vor Fahrtantritt über die Webseite, die App oder telefonisch informieren, ob ihr Zug wie geplant fährt. Wann die Züge wieder wie geplant fahren, hänge vom weiteren Verlauf des Sturms ab, sagte der Bahnsprecher.
Verwüstungen und Tote auch in Polen und Tschechien
Das Sturmtief hat in Polen und Tschechien je ein Todesopfer gefordert und schwere Schäden angerichtet. Ein 27-Jähriger starb am Sonntag in der Woiwodschaft Pommern, als ein Baum auf sein Auto stürzte. Bei dem Unfall wurde ein weiterer Mensch verletzt.
In ganz Polen rückte die Feuerwehr zu Tausenden Einsätzen aus, um umgefallene Bäume von den Straßen zu räumen und Dächer zu sichern. Nach Behördenangaben waren rund 680.000 Haushalte wegen beschädigter Leitungen ohne Strom.
In Tschechien stürzte nahe Prag eine fünf Meter hohe Mauer in einem Industriegebiet durch den Wind ein und verschüttete zwei Arbeiter. Einer von ihnen starb, der andere wurde mit Knochenbrüchen in ein Krankenhaus gebracht. Die Polizei hat Ermittlungen zu dem Unfall in der Gemeinde Velke Pritocno westlich der Hauptstadt aufgenommen.
Wind-Spitzengeschwindigkeiten von knapp 130 Stundenkilometern
Die höchste Windgeschwindigkeit wurde auf Hallig Hooge (Kreis Nordfriesland) mit 127 km/h gemessen, sagte eine Meteorologin des Deutschen Wetterdienstes (DWD) am Sonntagmorgen. In List auf Sylt, Kap Arkona auf Rügen und Glücksburg bei Flensburg wurden Werte von 119 km/h erreicht. Spitzenreiter der Ostfriesischen Inseln waren Spiekeroog und Norderney mit 112 km/h. Der Höhepunkt des Sturms sei zwischen 1 Uhr und 3 Uhr am frühen Sonntagmorgen erreicht worden. Ungewöhnlich stark war das Sturmtief nach Angaben der Meteorologin nicht: „Es ist ein recht normaler Weststurm.“