Haben junge Leute heute kein Benehmen mehr? Zumindest einige könnten an ihrer Ausdrucksweise arbeiten.
Haben junge Leute heute kein Benehmen mehr? Zumindest einige könnten an ihrer Ausdrucksweise arbeiten. imago/Westend61

Ende Februar werde ich 33 Jahre alt. Ich bin damit deutlich raus aus meinen 20ern – und trotzdem würde ich mich selbst noch nicht als „alt“ bezeichnen wollen. Doch immer wieder passieren mir im Alltag Dinge, die mir das Gefühl geben, die „Jugend von heute“ nicht mehr verstehen zu können. Dass man ab einem gewissen Alter nicht mehr jeden Schnickschnack mitmachen und in jedem neuen sozialen Netzwerk vertreten sein will – geschenkt. Doch es gibt auch Begegnungen, die mich an einigen jungen Leuten zweifeln lassen.

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Erst am Wochenende war ich mal wieder mit der Bahn unterwegs. Ich besuchte meine Eltern in Sachsen, ein Kurz-Trip mit dem Regio. Auf der Rückfahrt ging es von Dresden aus in Richtung Senftenberg, dort war der Umstieg in die Eisenbahn nach Berlin geplant. Schon in Dresden bekamen wir im bis dato ruhigen Zug Besuch – von einer Mädchen-Gruppe, die bei uns für Stirnrunzeln sorgte.

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Heftige Beleidigungen im Zug-Abteil: Warum sprechen die bloß so?

Acht, neun junge Frauen waren es, die das Abteil erstürmten, sich auf den freien Sitzen im Regionalzug verteilten. Ich hörte aus den Gesprächen heraus, dass sie offenbar von einer Bildungs-Ausfahrt kamen, nicht aus dem Malle-Urlaub. Sie ließen sich nieder – und währenddessen staunte ich über den Umgangston. Da sagte eines der Mädchen, vielleicht 14 Jahre alt, zum anderen: „Alter, geh‘ da weg, oder ich schlachte dich!“

Kurze Zeit später, wieder: „Ich schwöre dir, ich schlachte dich – noch in Dresden.“ Auch Worte wie „Hure“ oder ein besonders böses Schimpfwort mit F, das ich hier nicht wiedergeben möchte, kamen den Jugendlichen ohne Probleme über die Lippen. Noch dazu mischten sie den kompletten Zug mit ihrem Geschrei auf: Die Ruhe in der Bimmelbahn, die da so beschaulich durch sächsische Landschaften fahren sollte – vorbei.

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Hilfesuchend blickte ich mich bei meinen Mitfahrern und Mitfahrerinnen um – offenbar war ich nicht der einzige, der den Gesprächen aufmerksam lauschte, in mehreren Gesichtern sah ich Fassungslosigkeit. Immer wieder gab Geschrei, flogen Schimpfwörter durch die Gegend, wurden Beleidigungen ausgeteilt, als sei es selbstverständlich, sich so zu unterhalten. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe auch eine Freundin, mit der ich diesen speziellen, derben Humor teile. Und wenn wir uns sehen, darf es auch mal heftiger zur Sache gehen. Aber einen solchen Umgangston, der dann noch öffentlich zelebriert wird – ich finde das unfassbar.

Der Klassiker unter den beleidigenden Gesten: Der Stinkefinger.
Der Klassiker unter den beleidigenden Gesten: Der Stinkefinger. imago/Westend61

Während die Damen ausknobelten, wer nun die größte F**** ist, versuchte ich, mich zu erinnern, ob ich als Jugendlicher auch so war. Wir alle haben doch Blödsinn gemacht, das gehört dazu. Kippen gekauft am Automaten, geböllert im Wald, heimlich Wein und Schnaps getrunken, man wollte es eben wissen. Und sicherlich haben wir auch mal Schimpfwörter benutzt – allerdings kann ich mich nicht erinnern, dass zu meiner Schulzeit solche Umgangsformen herrschten.

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Ich frage mich: Kann man dieses Verhalten, wenn man es einmal erlernt hat, wieder ablegen? Fast muss ich schmunzeln, als ich mir vorstelle, wie die junge Frau mit den gröbsten Kraftausdrücken später in der Gastronomie arbeitet. „Hat‘s geschmeckt?“, fragt sie am Tisch. „Das Fleisch war etwas zäh“, sagt der Gast. Und sie darauf: „Alter, du frisst das jetzt, oder ich schlachte dich.“

Eine junge Frau besprüht das Zug-Mobiliar mit stechendem Parfum

Schon auf der Hinfahrt nach Sachsen stieg am Dresdner Stadtrand eine Mädels-Gang in den Zug. Im Stimmen-Gewusel hörte ich als erstes „Alter, hier stinkt’s nach Scheiße!“, woraufhin eine der jungen Frauen einen Parfum-Flakon auspackte, um das komplette Zug-Mobiliar in ihrem Umfeld mit dem stechenden Zeug zu besprühen. Auch das: Für mich unmöglich. Natürlich ist mir bewusst, dass man nicht alle über einen Kamm scheren kann. Die Mehrheit der Jugendlichen benimmt sich – nur leider ist es, wie so oft, die stille Mehrheit. Die Begegnungen mit denen, die am lautesten schreien, bleiben am meisten hängen.

Hoffnung gab mir nach der Zugfahrt am Wochenende nur, dass Hopfen und Malz nicht ganz verloren sind: Die Rädelsführerin der Gruppe, die gerade noch bekanntgab, alle „schlachten“ zu wollen, war nämlich plötzlich ganz leise und schüchtern, als der große Teil ihrer Freundinnen aus dem Zug ausgestiegen war. Da saß sie in der Ecke des Abteils, auf dem Schoß ein kleines, buntes Kissen – und kuschelte sich ein, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Es gibt für diese junge Frau also offenbar noch Hoffnung. Zumindest dann, wenn sie sich nicht vor ihren Freunden profilieren muss.

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Florian Thalmann schreibt eigentlich jeden Mittwoch über Tiere – aber manchmal auch montags über Berliner und Brandenburger Befindlichkeiten. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com