Hätte die AfD noch nach 2017 gefragt, sähe die Statistik anders aus: Am 28. Dezember entkamen gleich vier Häftlinge durch die Wand der Haftanstalt Plötzensee, wie das Bild einer Überwachungskamera zeigt.
Hätte die AfD noch nach 2017 gefragt, sähe die Statistik anders aus: Am 28. Dezember entkamen gleich vier Häftlinge durch die Wand der Haftanstalt Plötzensee, wie das Bild einer Überwachungskamera zeigt. GL

Die Flucht eines Clan-Kriminellen (41) aus dem offenen Vollzug am 17. September, der nach zehn Tagen wieder zurückkehrte und jetzt seine 38 Tage Rest-Strafe im geschlossenen Vollzug absitzen muss, bewegte die AfD zu einer parlamentarischen Anfrage: Wie viele Knackis sind seit 2018 aus Berliner Haftanstalten getürmt? Die Antwort: Einer aus dem geschlossenen Vollzug in Tegel, 31 Männer und sieben Frauen aus dem offenen Vollzug. 2022 flüchteten bislang vier Männer aus dem offenen Vollzug. 2021 waren es acht Männer und zwei Frauen. Bei den Zahlen in der Senatsantwort gibt es aber ein Problem.

Die Flucht aus Tegel datiert aus dem Jahr 2018, der Gefangene wurde im selben Jahr wieder eingebuchtet. Von allen 39 in der Antwort des Senats genannten Abgängigen der Jahre 2018 bis 2022 landeten zwanzig noch im gleichen Jahr erneut hinter Gittern, sei es durch Selbststellung oder durch die Polizei. Laut Senatsjustizverwaltung werden Fälle, bei denen der Flüchtige erst in den Folgejahren erwischt werden, gemäß bundeseinheitlicher Statistik nicht aufgeführt.  

Offizielle Antwort der Justizverwaltung lässt Fragen offen

Bei ihrer Fragestellung versäumte die AfD, nach „Nichtrückkehrern“ zu fragen – Häftlingen, die Vollzugslockerungen wie Urlaub, auf ein paar Stunden begrenzten Ausgang oder Freigang für die Arbeit nutzen, um nicht in ihre Haftanstalt zurückzukehren. Und die Verwaltung nutzte das aus und führte sie nicht auf.

Deshalb taucht auch der Mörder Koray T. (28), der schon nach drei Jahren Haft am 27. August unbegleiteten Ausgang zur Einschulung seines Kindes genehmigt bekam und sich dabei vermutlich in die Türkei absetzte, nicht in der Statistik auf: Weil er eben nicht im Sinne der Fragestellung aus Tegel „entwichen“ war, sondern eine Vollzugslockerung ausnutzte.  

Auf Nachfrage des KURIER zu Nichtrückkehrern teilte die Justizverwaltung mit, dass es im Jahr 2020 insgesamt 81.426 Vollzugslockerungen im geschlossenen und offenen Vollzug gab.

Dabei kehrten 46 Häftlinge nach Urlaub, Freigang oder Ausgang nicht oder nicht freiwillig in die Haft zurück, 0,6 Promille. Das lag minimal über dem Schnitt der Jahre seit 2010. Im Jahr 1995 waren es noch 327 oder 4 Promille.

Flucht aus dem Strafvollzug ist nicht strafbar, wer aber aus dem offenen Vollzug türmt (also in der Regel abends von der Arbeit nicht zurückkehrt), landet in der Regel im geschlossenen Vollzug. Die bei der Flucht noch offene Reststrafe jedenfalls muss nach Rückkehr oder Festnahme komplett abgesessen werden.

Fluchtzahlen psychisch kranker Straftäter geht seit Jahren zurück

Die Zahl der Fluchten von Patienten des gefängnisgleichen Krankenhauses des Maßregelvollzugs, das der Gesundheitsverwaltung untersteht und in dem psychisch kranke Straftäter sitzen, geht kontinuierlich zurück: Von 76 im Jahr 2018 auf 28 bislang in diesem Jahr. Dazu zählen allerdings auch alle Verspätungen, die ein Fahndungsersuchen nach sich ziehen. 

28 rannten seit 2018 bei begleiteten Ausgängen weg, 181 bei unbegleiteter Vollzugslockerung. Buchstäblich ausgebrochen sind vier Insassen: Jeweils zwei in den Jahren 2018 und 2022. Zusammen also 213.

Von allen Flüchtigen aus dem Maßregelvollzug auf dem Gelände der einstigen Karl-Bonhoeffer-Nervenheilanstalt (Reinickendorf) kamen jedoch nahezu alle wieder zurück: Mit Hilfe der Polizei, freiwillig oder von Vertrauenspersonen zurückgebracht: 2018 waren es 72 von 76, in diesem Jahr bislang 26 von 28, insgesamt seit 2018 folglich 206.