Selbst am Tag ihrer Beerdigung schien in der kleinen Kirche für Oma Nethe die Sonne.
Selbst am Tag ihrer Beerdigung schien in der kleinen Kirche für Oma Nethe die Sonne. Stickforth

Liebe Leserinnen und Liebe Leser, in unserer Generation haben wir alle sehr wahrscheinlich schon so einige Verluste in der Familie oder von engen Freunden hinnehmen müssen. Der Tod ist für Hinterbliebene sehr schmerzhaft, endgültig und irgendwie auch unvorstellbar. Wo ist die geliebte vertraute Person nun? Diese Frage habe zumindest ich mir gestellt.

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In der vergangenen Woche haben wir die Mutter meiner Freundin zu Grabe getragen. Mit über 95 Jahren kam der Tod nicht überraschend und war vielleicht auch daher ein wenig leichter zu verschmerzen. Ihr Leben ist, glücklicherweise ohne eine schlimme Krankheit, einfach zu Ende gegangen. Aber Oma Nethe, so haben wir sie in unserer Familie genannt, war ein außergewöhnlich guter Mensch.

Oma Nethe hat vielen Kraft und Liebe geschenkt

Enkelkinder, Kinder, Nichte, Freunde und Bekannte kamen alle, um sich zu verabschieden. Jedem, der dort an ihrem Grab gestanden hat, hat sie liebe Dienste und Hilfestellung gegeben. Ohne großes Aufhebens, einfach so, ist sie stets bereit gewesen zu helfen.  Einem die Hand zu reichen, wenn man selbst nicht mehr weiter wusste. Das war eine herausragende Charaktereigenschaft von Waltraut Nethe.

Eine ihrer guten Taten:  1983 hat sie in Moabit den Berliner Obdachlosen-Treff „Warmer Otto“ der Berliner Stadtmission mit aufgebaut. In der Anlaufstelle für Obdach- und Wohnungslose hat sie über Jahre Kaffee oder eine warme Suppe in der Kältesaison an Bedürftige gereicht. Einen Handarbeitskreis in der Moabiter Heilandskirche hat sie auch ins Leben gerufen. Im Gemeindesaal der Kirche hat sich hier regelmäßig ein Frauenkreis zum Handarbeiten und Nachbarschaftsplausch getroffen. Beim kirchlichen Flohmarkt in der Adventszeit wurden dann die selbstgestrickten Socken, Mützen, Handschuhe und Topflappen verkauft. Der Erlös ging natürlich an den Warmen Otto.

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Über Jahrzehnte ist Oma Nethe in Moabit bekannt gewesen wie ein bunter Hund. Auf der Straße trat sie energisch in die Pedalen ihres alten Damenrades und hatte es stets eilig, weil irgendeine Aufgabe zu erledigen war. Ihr Leben schien sie in den Dienst des Helfens und guten Miteinanders gestellt zu haben.

Tatkräftig und energisch hat sie ihre Aufgaben erledigt

Nach der Flucht aus Ostpreußen arbeitete Waltraut Nethe einige Jahre als Diakonieschwester in Berlin. Sie erlernte einen zweiten Beruf zur Katechetin und arbeitete bis zum Tod ihres Ehemannes. Als Religionspädagogin hat sie dann sowohl an der Grundschule und der Kirchengemeinde die Schüler in den Grundfragen des christlichen Glaubens unterwiesen. Dabei spielten die „Zehn Gebote“, die auch heute noch unser ganzes soziales Miteinander gestalten, die wesentliche Rolle.

Von sich selber soll Oma Nethe gesagt haben: „ich war immer so beschützt“. Diesen Satz erfuhr ich aus der Predigt des jungen sehr frohgemuten Pastors in der Kirche. Ich konnte sehen, dass alle dabei lächelten und gewiss jeder ein bestimmtes Bild von Oma Nethe vor seinen Augen hatte. Und weil sie sich so beschützt fühlte und voller Herzenswärme war, konnte sie in ihrem Leben wohl vielen Menschen ihre Unterstützung geben.

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Wir waren getröstet von der Erkenntnis, dass sie ein gutes, sehr ereignisreiches Leben hatte. Bei strahlendem Sonnenschein stand dann die Gruppe mit überwiegend jungen Menschen um ihre letzte Ruhestätte. Nicht traurig, sondern auch mit einem Gefühl der Zuversicht, dass wo immer sich ihre Seele oder ihr Geist befinden sollte, wird es gut sein. Noch lange saßen wir zusammen haben gelacht, gegessen und getrunken.

Auch das war Oma Nethes Wunsch gewesen. Zu ihrem Geburtstag im November hatte sie uns alle, Familie und Freunde seit Jahren traditionell zum Brunch eingeladen. Das werden wir auf jeden Fall weiterführen. Natürlich stets ein Gläschen dann auf Oma Nethe, die uns alle zusammengebracht und und über so viele Jahre gehalten hat.

Haben Sie eine gute Zeit! Ihre Sabine Stickforth

KURIER-Autorin Sabine Stickforth schreibt jeden Dienstag über das Leben über 50 in Berlin.
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