Neue RBB-Doku zeigt den Beginn der Nazi-Herrschaft vor 90 Jahren

Tagebücher von 1933 erzählen: So erlebten Berliner das Schicksalsjahr, in dem Hitler die Macht ergreift

Die Berichte der Menschen - in einer einzigartigen TV-Dokumentation werden sie wieder lebendig. 

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Reichskanzler Adolf Hitler im Mai 1933 bei einer Fahrt durch Berlin. Die Menschen jubeln ihm zu.
Reichskanzler Adolf Hitler im Mai 1933 bei einer Fahrt durch Berlin. Die Menschen jubeln ihm zu.Imago/ZUMA/Keystone

Es ist ein strenger Winter. Das Jahr 1933 fängt für die Berliner nicht gut an. Menschen schippen in der Stadt Schneeberge zusammen, andere kämpfen gegen Kälte und Hungersnot. Auf den Straßen toben Kämpfe zwischen Kommunisten und Nazi-Banden, es wird gemordet und bald wird der Reichstag brennen.

So mancher Berliner vertraut die Geschehnisse vor 90 Jahren seinem Tagebuch an. Privates und Historisches, Ereignisse zwischen Alltag und aufkeimender Diktatur notieren sie. Regisseur Volker Heise macht jetzt diese Berichte wieder lebendig: In einer einzigartigen TV-Dokumentation über das Berlin von 1933 – dem Jahr, in dem Adolf Hitler die Macht ergreift.

„Führer, wir folgen dir!“ Die Rufe hallen 1933 durch das Land. Heute ist es unvorstellbar, wie die Berliner, die Menschen in Deutschland, damals jemanden ihr Leben verschreiben und sogar opfern wollen, der Jahre zuvor aus einem scheinbaren Nichts aufgetaucht ist. Einem Mann, einem verkannten Kunstmaler und Kriegsgefreiten aus Österreich, der wie ein Wahnsinniger vor seinem Publikum auftritt und spricht. Männer um sich schart, die Schrecken im Land verbreiten.

Notizen aus dem Tagebuch der Berliner Hausfrau Clara Brause, die sie im Jahr 1933 geschrieben hatte.
Notizen aus dem Tagebuch der Berliner Hausfrau Clara Brause, die sie im Jahr 1933 geschrieben hatte.RBB

Doku dokumentiert einzigartig die Geschehnisse von 1933

Heise versucht mit Hilfe der Tagebücher, die Berliner aus verschiedenen Gesellschaftsschichten schrieben, darauf eine Antwort zu geben. In seinem fast dreistündigen Film „Berlin 1933“, die der RBB am Sonnabend (24. Januar) um 20.15 Uhr zeigt.

Hitler hat die Macht ergriffen: SA-Männer ziehen mit Fackeln am 30. Januar 1933 durch das Brandenburger Tor. 
Hitler hat die Macht ergriffen: SA-Männer ziehen mit Fackeln am 30. Januar 1933 durch das Brandenburger Tor. Imago/World History Archive

Die Tagebücher sind ein Beleg, wie die Berliner in jener Zeit dachten. Jeder dritte von ihnen ist Anfang 1933 arbeitslos, hungert, friert oder ist krank. Eine Grippewelle geht um, so wie Hausfrau Clara Brause notiert. Auch ihre erwachsene Tochter Erna, die noch bei ihr in der Mietskasernenwohnung lebt, hat es erwischt. „Das Erna-Kind kam gestern fiebernd heim, es hustet und prustet. Es muss zum Arzt“, schreibt Mutter Brause um den 30. Januar 1933 herum, als Adolf Hitler vom Reichspräsidenten Paul Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wird.

Den anschließenden Fackelzug der SA-Männer durch das Brandenburger Tor bleiben viele Berliner fern, schreibt eine französische Journalistin. Anders der Berliner Krankenhausarzt Willi Lindenborn –  er ist dabei. „Hindenburg steht am Fenster, macht eine passable Figur. Paar Fenster weiter zeigt sich Hitler mit dem Faschistengruß. Berlin ist gepackt von einem einzigartigen Feuer, das heißt Vaterland“, schreibt er fast euphorisch in sein Tagebuch.

Kinder gehen mit Hakenkreuzfahnen in der Hand spazieren. Abzeichen und Fähnchen der Nazis werden gut verkauft, notiert ein Berliner 1933 in seinem Tagebuch.
Kinder gehen mit Hakenkreuzfahnen in der Hand spazieren. Abzeichen und Fähnchen der Nazis werden gut verkauft, notiert ein Berliner 1933 in seinem Tagebuch.RBB/Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo

Die Gewalt der Nazis: Viele Berliner wollen sie nicht sehen

Dennoch beschäftigen dem Arzt ganz andere Dinge als die Politik. In seinem Tagebuch notiert er, wie immer mehr Grippepatienten ins Krankenhaus kommen. Die Stationen bieten kaum Platz für andere Kranke. Dann werden Lindenborns Notizen privat. Abends trifft sich der Arzt im Lokal „Aschinger“ mit seiner Lilly. Drei Freundin hat Lindenborn, er kann sich nicht entscheiden, mit welcher er sein Leben teilen wird, vertraut er dem Tagebuch an.

27. Februar 1933: Der Reichstag brennt. Die Nazis beschuldigen die Kommunisten. 
27. Februar 1933: Der Reichstag brennt. Die Nazis beschuldigen die Kommunisten. Imago/Historical Graphic Collection/Heritage

Wochen später wird Lindenborn Zeuge, wie SA-Männer eine Jüdin vergewaltigen. Obwohl ihm das Geschehene nicht behagt, tritt der Arzt dennoch in die NSDAP ein, meldet sich 1936 zur Wehrmacht.

Der Film zeigt: Lindenborn ist ein Beispiel vieler Berliner, die die Gewalt der Nazis sehen und ihnen dennoch folgen. Keiner kann sagen, man habe von nichts gewusst.

SA-Leute haben in einem Folterkeller verhaftete Kommunisten und Sozialdemokraten an die Wand gestellt.
SA-Leute haben in einem Folterkeller verhaftete Kommunisten und Sozialdemokraten an die Wand gestellt.Imago/World History Archive

Man schaut weg. Viele aus einem Grund: Nach den Wirren des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik hoffen sie auf sein starkes Deutschland, das ihnen Hitler verspricht. So wie Clara Brause, die am 20. April 1933 in ihrem Tagebuch bedauert, dass „der Führer an seinem Geburtstag so ein scheußliches Regenwetter“ erleben muss.

Man ignoriert, mit welcher Härte die Nazis nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 im Land durchgreifen. Kommunisten und Sozialisten werden verhaftet, in den Kellern der SA-Sturmlokalen gefoltert. Im gleichen Jahr lassen die Nazis auf dem Berliner Opernplatz öffentlich Bücher verbrennen, verbieten die Werke deutscher Klassiker wie Heinrich Heine. 

Hitlers erste Rundfunkansprache als Reichskanzler am  1. Februar 1933
Hitlers erste Rundfunkansprache als Reichskanzler am 1. Februar 1933RBB/ARD/Nationalarchiv Polen

Ende 1933: Berliner ahnen, das düstere Zeiten auf sie zukommen

Ab 1. April beginnt der öffentliche Terror gegen die Juden – mit einem Boykotttag der jüdischen Geschäfte. Tagebuchaufzeichnungen zeigen, dass viele jüdische Berliner hoffen, dass der ganze Spuck rasch vorbei geht.

Es ist ein Trugbild. Die Ermächtigungsgesetze, die nach dem Reichstagsbrand geschaffen werden, erlauben das gewalttätige Durchgreifen der Nazis. Im Juli wird die NSDAP die einzig zugelassene Partei in Deutschland. Die Kultur, die Presse wird im September gleichgeschaltet. Ende des Jahres 1933 haben die Nazis die komplette Herrschaft über Deutschland übernommen.

1. April 1933: Berliner lesen an einer Litfaßsäule den Boykottaufruf  der jüdischen Geschäfte. Darunter ist ein Filmplakat von „Menschen im Hotel“ mit Greta Garbo.
1. April 1933: Berliner lesen an einer Litfaßsäule den Boykottaufruf der jüdischen Geschäfte. Darunter ist ein Filmplakat von „Menschen im Hotel“ mit Greta Garbo.RBB/SZ Photo/Süddeutsche Zeitung

So manche Berliner ahnen Ende 1933, das die Zeiten düster werden. Wie der Bibliothekar Hermann Stresau, der am 10. November in einem Restaurant eine Hassrede von Hitler am Radio verfolgt, die aus den Spandauer Siemens-Werken übertragen wird. „Es ist abstoßend, ich verlasse das Café“, schreibt der Mann in seinem Tagebuch. „In den Gesichtern der Menschen auf der Straße sehe ich keine Begeisterung, eher den Ausdruck einer bevorstehenden Gefahr.“

Die zweiteilige Doku „Berlin 1933 – Tagebuch einer Großstadt“ zeigt der RBB am 28.1. ab 20.15 Uhr, läuft schon jetzt in der Mediathek.