Nominiert für den Deutschen Filmpreis
Systemsprenger Albrecht Schuch: Keiner hat so viele Gesichter wie dieser Schauspieler
Der KURIER traf den Darsteller zum Interview in Berlin. Keine leichte Aufgabe, denn Schuch ist nicht unbedingt ein Star zum Anfassen.

Am 24. Juni wird im Palais am Funkturm in Berlin der 72. Deutsche Filmpreis verliehen. Auch Schauspieler Albrecht Schuch gehört zu den aussichtsreichen Kandidaten. Er hat bereits zwei Lolas und ist dieses Jahr wieder nominiert – in der Kategorie „Beste männliche Hauptrolle“. Der Berliner KURIER traf den Darsteller zum Interview in Berlin. Keine leichte Aufgabe, denn Schuch ist kein Star zum Anfassen.
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Bestimmte Fragen möchte Albrecht Schuch an diesem Sonnabend im Hotel Dorint Kurfürstendamm nicht beantworten. Die sind ihm zu persönlich. Diese hier zum Beispiel: Wohnt er im Osten oder im Westen Berlins? Dazu will der Schauspieler nichts sagen. Da fühlt er sich gleich in eine Schublade gesteckt. Lieber redet er über die Arbeit. Das kann interessant sein, vor allem für andere Schauspieler. Aber ist es auch für das Publikum interessant?
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Schuch ist in Deutschland vielleicht der gefragteste Darsteller seiner Generation. Fast möchte man dem 36-Jährigen zurufen: „Ey, komm mal runter, Alter. Wir lieben dich. Wir freuen uns über deinen Erfolg. Ganz ehrlich. Seit Jahren. Und wir würden uns noch mehr freuen, wenn du es zulassen würdest, dass alle dich lieben. Wirklich alle. Nicht nur deine Weggefährten.“ Dieser Zuruf aber würde verhallen, und das ist schade.
Der Film, für den Albrecht Schuch ausgezeichnet werden könnte, heißt „Lieber Thomas“
Denn Albrecht Schuch hätte viel zu erzählen, vieles, was ihn verschroben, aber auch vieles, was ihn liebenswert macht. Schließlich ist der begnadete Darsteller des verfemten DDR-Poeten und Filmemachers Thomas Brasch („Vor den Vätern sterben die Söhne“) erneut für den Deutschen Filmpreis nominiert, und er hat gute Chancen, am 24. Juni im Palais am Funkturm die begehrte Lola zu gewinnen – die ARD zeigt die Gala zeitversetzt um 22.45 Uhr.

Das Werk, für das Schuch ausgezeichnet werden könnte, heißt „Lieber Thomas“. Der Film von Andreas Kleinert ist ein sogenanntes Biopic und für zwölf Trophäen nominiert, Albrecht Schuch in der Kategorie „Beste männliche Hauptrolle“. Nicht zu Unrecht. Die Filmbiografie „Lieber Thomas“ ist eine Liebeserklärung an den Schriftsteller Thomas Brasch. Brasch zerschellte an der Wirklichkeit der DDR, die alles andere als romantisch auf ihn abfärbte.
Ich freue mich darüber, dass wir gemeinsam dieses Fest haben können, das wir vor zwei Jahren nicht haben konnten, weil jeder irgendwie in seiner eigenen Stube saß.
Sein eigener Vater, ein hoher SED-Parteifunktionär, soll den „Unerziehbaren“ an die Stasi verraten haben. Thomas Brasch war Mitunterzeichner der Resolution gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann, reiste mit seiner damaligen Freundin Katharina Thalbach (im Film gespielt von Jella Haase) in den Westen aus und geriet dort über die Jahre mehr und mehr in Vergessenheit. 2001 starb er mutmaßlich infolge seiner Alkohol- und Drogensucht in der Berliner Charité. Da war er 56 Jahre alt.
In einem mitreißenden Wechselspiel aus Zartheit und Wucht verkörpert Albrecht Schuch nun diesen gescheiterten DDR-Intellektuellen, den Künstler, der aufmuckte, der das Leben liebte, die Frauen, den Rausch und die Freiheit – und natürlich die Poesie.

Schuch ist kein gewöhnlicher Darsteller. Tanzend bereitet er sich auf seine Rollen vor, um sie geschmeidig zu machen, wie er im KURIER-Interview erklärt: „Spielen hat für mich wenig mit einem akademischen Vorgang zu tun, deswegen versuche ich das, was ich mir in der Rollen-Recherche reingepflastert habe, wieder aufzuweichen und in den Körper zu bekommen, man könnte auch sagen: zu entkristallisieren und weich oder beweglich zu machen.“
Dabei ist diese weiche Körperlichkeit bei ihm beinahe schon expressionistisch aufgeladen. Man konnte das vielleicht am deutlichsten im Film „Berlin Alexanderplatz“ und in der TV-Serie „Bad Banks“ sehen. Und mit Sicherheit ist Albrecht Schuch damit auch der Schauspieler der Stunde.

Sein schaumgebremst brodelndes Spiel, das wie eingehaust wirkt, und das ist das eigentliche Erfolgsgeheimnis seiner wohl einmaligen Karriere, erfüllt den im Homeoffice erschlafften, auf Rückzug ins Private programmierten, politikverdrossenen, einkaufsfiebrigen Deutschen dieser Tage mit frischer Leidenschaft und neuem Leben.
Wer Schuchs Figuren beobachtet, bekommt sofort Lust, auf die Kacke zu hauen, sich zu verzehren, sich zu berauschen, sich sorglos zuzudröhnen. Und für diese Transfer- und Energieleistung bekam Schuch bereits 2020 gleich zwei Deutsche Filmpreise überreicht: als Hauptdarsteller im Film „Systemsprenger“ und als Nebendarsteller in „Berlin Alexanderplatz“.
Albrecht Schuch ist in Jena aufgewachsen
Nicht weniger interessant ist nun: Sowohl bei der damaligen als auch bei der diesjährigen Verleihung sind es mächtige dunkle Wolken, die über dem Filmpreis hängen. 2020 befinden wir uns im ersten Corona-Jahr, die Lolas werden zu einer rein virtuellen Veranstaltung. 2022 ist der Ukraine-Krieg die Bürde, die auf dem freudigen Ereignis lastet.
Man könnte meinen, ein Déjà-vu. Nicht aber für Albrecht Schuch. Er sieht nicht ein, dass man beides nebeneinanderstellt, miteinander vergleicht. Er könnte jetzt, wie er da sitzt in seinem weißen T-Shirt mit aufgedrucktem Knutsch-Motiv und mit den getönten großen Brillengläsern auf der Nase, im KURIER-Interview über seine Gefühle reden, über Missgeschicke und seltene Zufälle, aber er bleibt betont einsilbig.
Natürlich ist der Krieg auch ihm ein Gräuel: „Ich muss das teilweise ausblenden“, sagt Schuch, „damit man so was wie den Filmpreis dann auch mal wieder genießen kann.“ Wie war das mit dem eigenen Vater, möchte der KURIER von Schuch erfahren. Gab es einen Vater-Sohn-Konflikt wie bei Brasch?
Man muss dazu wissen, Schuch stammt aus Jena, sein Vater ist Psychiater, und jeder weiß, welche unheilvolle Rolle die Psychiatrie in der DDR zum Teil gespielt hat. Ganz konkret: Gab es den Moment, wo Albrecht Schuch sich mal gefragt hat, ob sein Vater in der DDR Entscheidungen treffen musste, die er heute bereut?
Schuchs Eltern wollten nicht, dass er Schauspieler wird
„Ich habe mich immer mit Entscheidungen meiner Familie und meiner Freunde, meinem Gegenüber auseinandergesetzt“, sagt der Schauspieler. „Und wenn ich mich mit etwas beschäftige, frage ich immer, wie ging es der Person eigentlich damals oder wie würde ich das machen oder was hätten eigentlich meine Großmutter oder mein Großvater dazu gesagt. Also ich setze mich immer ins Verhältnis mit mir selbst und frage, wenn angemessen, im Freundes- oder Familienkreis nach, ob es da bestimmte Erfahrungswerte gibt.“
Diese Antwort bleibt unbefriedigend, sie klingt seltsam nüchtern und abstrakt. Dabei hätte Albrecht Schuch sicher viel zu erzählen aus seinem bürgerlichen Elternhaus in Jena: Die Mutter ist Ärztin und will genauso wenig wie der Vater, dass ihr Sohn Schauspieler wird, ein fahrender Geselle. Aber Albrecht Schuch setzt sich durch, gegen alle Regeln des Milieus, gegen seine Eltern, gegen seinen inneren Schweinehund. Wenn das keine Parallele zu Thomas Brasch ist, was dann?

Immerhin: Karoline Schuch, die ältere Schwester Albrecht Schuchs, hatte den Weg geebnet. Auch sie ist seit Jahren eine bekannte Schauspielerin. Damit ist natürliches vieles einfacher für den Nachzügler.
Was haben ihm seine Eltern mitgegeben? Zum Beispiel das: Schuch greift Obdachlosen unter die Arme. Im Frühjahr 2020 hat er bei der Kältehilfe mitgemacht. „Das war mir schon länger ein Bedürfnis. Und wenn es die Zeit zulässt, helfe ich dort weiterhin gerne aus.“
In seiner Freizeit boxt Albrecht Schuch und trainiert Taekwondo
Überhaupt findet der Schauspieler, der in seiner Freizeit gern boxt und Taekwondo trainiert, dass sich die Leute wieder mehr umeinander kümmern, sich auch wieder mehr berühren sollten: „Ich bin ganz sicher, dass wir Berührungen brauchen und dass wir uns wieder mehr begegnen müssen. Das ist in den letzten Jahren leider ein wenig verloren gegangen.“

Rührt ihn der Filmpreis? „Ich freue mich einfach darüber“, sagt er. „Ich freue mich darüber, dass wir gemeinsam dieses Fest haben können, das wir vor zwei Jahren nicht haben konnten, weil jeder irgendwie in seiner eigenen Stube saß. Ich glaube, das hat mir am meisten gefehlt.“
Albrecht Schuch hilft Obdachlosen – er tut es gern
Wer ist nun dieser Albrecht Schuch? Ein Schauspieler, den man in keiner neuen Rolle wiedererkennt? Einer, der den NSU-Terroristen Uwe Mundlos ebenso eindringlich und pur verkörpert wie den Aggressionstrainer in „Systemsprenger“ oder den großen Alexander von Humboldt in „Die Vermessung der Welt“? Mit Sicherheit. Ein besessener Künstler? Auch das. Einer zum Anfassen – mit Geschichte und Geschichten zum Miterleben und Nacherzählen? Nein.
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Albrecht Schuch ist kein Erzähler, und die Erzählungen dieser Tage, die sich in den sozialen Netzwerken des Internets bandwurmartig fortsetzen, verschmäht er. Damit besitzt er für das ganz große Publikum, für den umworbenen Schwarm, im Grunde keine Geschmeidigkeit, aber auch keine Ecken und Kanten. Denn sichtbar ist er für die meisten nur im Kino und im Fernsehen, in seinen Rollen.
Albrecht Schuch ist ein Star ohne Eigenschaften. Manchmal ist das ganz wohltuend.