Solidarische Geste
Partnerschaft Berlin-Kyjiw: Es wächst zusammen, was zusammengehört
Am Donnerstag besiegelten Kai Wegner und Vitali Klitschko Berlins neueste Städtepartnerschaft offiziell. Das war längst überfällig, denn beide Städte sind sich viel ähnlicher, als man gemeinhin denkt.

Nun ist es soweit oder wie Berlins früherer Regierender Bürgermeister und späterer Bundeskanzler Willy Brandt zum Mauerfall sagte: „Es wächst zusammen, was zusammengehört.“ Denn die ukrainische Hauptstadt Kyjiw und die Bundeshauptstadt Berlin sind jetzt Partnerstädte. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und sein Amtskollege Vitali Klitschko unterzeichneten am Donnerstag im Roten Rathaus eine entsprechende Erklärung.
Vor dem Termin im Rathaus hatte Wegner seinen Kollegen aus der Ukraine am Brandenburger Tor empfangen. Gemeinsam durchschritten sie das Berliner Wahrzeichen. Wegner machte deutlich, dass Berlin die Städtepartnerschaft als Zeichen der Solidarität mit der Ukraine versteht. Das Land wehrt sich seit Februar 2022 gegen den russischen Angriffskrieg. „Wir stehen an der Seite der Ukraine, wir stehen an der Seite Kyjiws“, sagte er in einer Ansprache.

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Solidarität hat in Berlin Tradition
Dass diese Solidarität in Berlin lange Tradition habe, wüssten in Berlin viele nicht mehr. „Die Budapester Straße wurde 1956 nach dem Aufstand in Ungarn umbenannt“, so der Historiker Jan Claas Behrends von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Auch in Lichtenberg gibt es bereits einen Odesa-Platz, benannt nach der Hafenstadt in der Ukraine.
Das Land verteidige in seinem aufopferungsvollen Kampf gegen die russischen Invasoren Frieden und Freiheit in Europa. „Sie kämpfen auch für unsere Werte“, sagte Wegner an die Adresse Klitschkos. „Berlin ist die Stadt der Freiheit.“ Und er sei sicher, dass auch Kyjiw bald eine Stadt der Freiheit sei, so Wegner. „Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass am Ende die Freiheit über die Aggression anderer siegen wird.“
Großer Dank für Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge
Klitschko dankte derweil Deutschland und Berlin für die humanitäre, finanzielle und militärische Hilfe, für die Aufnahme vieler Geflüchteter aus der Ukraine. „1000 mal danke“, sagte er in seiner auf Deutsch gehaltenen Ansprache. „Es ist lebenswichtig für uns zu wissen, wir sind nicht alleine.“ Die Ukraine wolle ein Teil der europäischen Familie werden. „Sie verteidigt heute die europäische Zukunft und die europäischen Werte“, sagte Klitschko. „Wir kämpfen heute für jeden von Euch.“
Doch neben der eher symbolischen Geste gibt es viele andere Gründe, warum Kyjiw und Berlin schon viel früher eine Partnerschaft hätten eingehen können. Denn beide Städte sind zum Beispiel ähnlich groß. Offiziell hatte Kyjiw vor Beginn der großflächigen russischen Invasion der Ukraine rund 3 Millionen Einwohner. Inoffiziell und mit dem Umland wird die Stadt aber mitunter auf bis zu 6 Millionen Menschen geschätzt. Berlin hat hingegen 3,75 Millionen Einwohner, die Metropolregion rund 6,3 Millionen Menschen. Beides also sehr beinahe gleiche Zahlen. „Eine ähnliche Größe der Städte hilft sicherlich“, so Jochen Butt-Posnik, Leiter der Kontaktstelle CERV, eines EU-Programms, das sich auch um Städtepartnerschaften kümmert.
Städtepartnerschaft soll Zivilgesellschaft erreichen
Wichtig sei jedoch, dass die Partnerschaft nun auch an die Bezirke und die Zivilgesellschaft der Stadt herangetragen wird. So könne es laut Butt-Posnik Unterstützungszusammenarbeit geben. „In konkreten Bereichen bietet sich ebenfalls eine Partnerschaft an, beispielsweise Jugendämter mit Jugendämtern“, so der Experte. Durch die vielen Flüchtlinge aus der Ukraine, die Berlin aufgenommen hat, würden sich mitunter auch ähnliche Probleme stellen, wie zum Beispiel bei der Behandlung von vom Krieg traumatisierten Menschen oder beim Katastrophenschutz. „Da muss man einfach schauen, was möglich ist“, so Butt-Posnik.
Auch der Historiker Behrends, der in Kreuzberg lebt, wünscht sich, dass sich die Partnerschaft auch anderweitig zeigen wird. „Da braucht es Schulpartnerschaften, Austausch- und Erholungsprogramme“, meint er. So könnte man, soweit das möglich ist, Kyjiwer Kinder zu einem Besuch nach Berlin einladen zu einem Urlaub ohne Luftalarm und Explosionen. Und anstatt die Putin-Freundin Anna Netrebko auf der Bühne der Staatsoper singen zu lassen, hätte man lieber die Oper aus der neuen Partnerstadt zu einem Gastauftritt einladen können.

„Leute mit Ideen gibt es in Berlin immer viele“
Behrends hofft nun, dass der Senat Initiative zeige. „Leute mit Ideen gibt es in Berlin immer viele“, sagt er. Das Potenzial müsse man nutzen. Kai Wegner kündigte an, die Partnerschaft mit Kyjiw mit Leben erfüllen zu wollen. Er nannte humanitäre Hilfe als Beispiel, später wolle Berlin die ukrainische Hauptstadt und das Land auch beim Wiederaufbau unterstützen.
Befürchtungen, dass die Partnerschaft einseitig zulasten Berlins sei und bleibe, widerspricht auch der Experte Jochen Butt-Posnik. So habe es auch in den Partnerschaften zwischen deutschen und polnischen Städten nach der Wiedervereinigung begonnen. „Doch das Gefälle hat sich längst zu einem Austausch auf Augenhöhe entwickelt.“

Berlin kann bei Digitalisierung von Kyjiw lernen
Auch Berlins Regierender ist zuversichtlich: Berlin könne bereits jetzt von Kyjiw lernen, etwa im Bereich Digitalisierung. In der Ukraine werden viel mehr Dienstleistungen für Bürger bereits online angeboten. So können in der zentralen App „Dija“ zum Beispiel Termine bei Behörden gebucht und Bescheinigungen beantragt werden. Sie gilt in der Ukraine sogar als Ausweisdokument.
Neben der Wiederaufbauhilfe, bei der Berlin auch mit jahrzehntelanger Erfahrung helfen kann, wird sich die Städtepartnerschaft aber vor allem durch die Zivilgesellschaft beweisen können. Und bei aller Entfernung gibt es auch einige Gemeinsamkeiten zwischen den Städten.
Beide Städte haben lebendige Kulturszenen
So haben sowohl Kyjiw wie Berlin seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung einige Veränderungen durchmachen müssen. Beide Städte haben sich dennoch zu modernen Metropolen entwickelt.
Unter vielen Kulturexperten hat auch die reiche Kulturszene von Kiew einen guten Ruf. „Kyjiw vor der Invasion fühlte sich so an, wie Berlin in den Neunziger Jahren“, so der Historiker Jan Claas Behrends. „Einige meiner Studenten sind da auch in die Technoclubs zum Feiern gefahren.“

Doch auch die Popkultur ist nicht erst seit dem Gewinn der Ukraine beim Eurovision Song Contest 2022 bekannt. Bereits 2016 gewann die Ukraine den Wettbewerb, Berlins neue Partnerstadt richtete den Wettbewerb 2017 aus. Die Expertise aus der Stadt am Dnipro kann auch Berlin nicht schaden.
Nun lud Klitschko zunächst Wegner zu einem Gegenbesuch in seine Stadt ein. Schon allein wegen der Symbolik wird Berlins Regierender die Einladung wohl bald annehmen.