Menge der Ukraine-Flüchtlinge nicht zu bewältigen
Stadträte funken S.O.S.: Sozialämter „komplett unter Wasser“
Bezirke fordern Hilfe vom Senat, Senat fordert Hilfe von der Bundesregierung

Geflüchtete Menschen aus der Ukraine werden in Deutschland ähnlich wie Asylbewerber versorgt. Anlaufpunkt für die allermeisten Anträge, so will es der Bund, sind die Sozialämter. Für die ist das eine gigantische Aufgabe. Speziell in Berlin, wo mit Zehntausenden die Masse der Vertriebenen in Deutschland ankommt.
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Mit viel Improvisation versuchen die Bezirksämter, den starken Andrang bei der Beantragung staatlicher Leistungen zu stemmen. Im Zentrum stehen dabei die Sozialämter, in denen die Geflüchteten Anträge für finanzielle Soforthilfe, für reguläre Zahlungen nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetz oder eine Gesundheitskarte für die medizinische Versorgung ausfüllen müssen. Bereits jetzt bilden sich in ersten Ämtern lange Schlangen, doch das dürfte erst der Anfang sein.
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Die von Personalmangel geplagten und wegen der Corona-Krise ohnehin stark belasteten Bezirke reagieren mit Personalumschichtungen, längeren Öffnungszeiten, der eiligen Herrichtung zusätzlicher Räume, dem Einsatz von Ehrenamtlichen und Sprachmittlern, wie eine dpa-Umfrage ergab.
Zum Teil geht das auf Kosten anderer Anträge und Verwaltungsvorgänge, die zunächst liegenbleiben. Vom Senat fordern die Bezirke Unterstützung beim Personal, ausreichend Geld, ein unbürokratisches Miteinander und klare Verfahrensregeln.
Die Reinickendorfer Sozialstadträtin Emine Demirbüken-Wegner (CDU) antwortete auf die Frage, ob ihr Amt die anstehenden Aufgaben stemmen könne, mit einem „Nein“. Sie sagt: „Selbst mit Unterstützung des ganzen Bezirksamtes ist es eine außerordentlich schwierige Aufgabe.“
Mitarbeiter verzichten auf ihren Urlaub
„Es geht nicht darum, ob wir es können. Wir müssen“, sagte Pankows Stadträtin für Soziales, Cordelia Koch (Grüne). „Ich werde alles daransetzen, dass wir die Menschen adäquat willkommen heißen.“ Sie will das Sozialamt zunächst mit Beschäftigten aus anderen Bereichen der Bezirksverwaltung verstärken. Diese könnten dadurch ihre eigentlichen Aufgaben nur mit Überstunden erledigen. Die Hilfsbereitschaft in der gesamten Bezirksverwaltung sei groß. „Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sogar darauf verzichtet, den schon geplanten Urlaub anzutreten.“
Solche Umschichtungen könnten aber keine Dauerlösung sein, hieß es aus Tempelhof-Schöneberg. „Wir brauchen schnell mehr Personal“, sagte der dortige Sozialstadtrat Matthias Steuckardt (CDU).
„Wir haben das Problem, dass wir komplett unter Wasser sind“, schildert sein Spandauer Kollege Gregor Kempert (SPD) die Lage. „Wir haben nicht das Personal, um die Menschen alle sofort zu bedienen. Daher haben wir mit der Vergabe von Terminen begonnen.“
Bargeld für Flüchtlinge wird knapp
Ein Riesenproblem sei auch, dass bereits das Bargeld für Auszahlungen knapp werde. „Hier müssen Bund und Land schnell für Abhilfe sorgen.“ Wie in Pankow setzt man auch in Spandau auf Freiwillige, die Geflüchtete in der Warteschlange etwa mit Getränken versorgen, ältere Menschen unterstützen oder beim Ausfüllen von Anträgen helfen.
In Neukölln habe Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) frühzeitig einen Krisenstab eingerichtet, schilderte ein Sprecher. „Räumlich wurde kurzfristig eine eigenständige Bearbeitungsstrecke im Sozialamt Neukölln mit separatem Eingang eingerichtet. Gemeinsam mit dem Technischen Hilfswerk wurden Zelte für die Wartebereiche aufgebaut.“ Einen kleinen Zirkus zur Kinderbetreuung gebe es auch.
Steglitz-Zehlendorf plant ein zentrales Service-Center, um alle Fragestellungen der Geflüchteten an einem Ort mit kurzen Wegen beantworten zu können, wie Sozialstadtrat Tim Richter (CDU) sagte. Denn es gehe nicht nur um Sozialleistungen, sondern auch um Fragen zur Kinderbetreuung, zu Schulen, Gesundheit und Arbeit. „Um das alles zu stemmen, haben wir bereits kurzfristig Hilfskräfte und Übersetzerinnen und Übersetzer eingestellt und sind gerade dabei, neue Mitarbeitende für die Sachbearbeitung zu akquirieren.“ Er habe auch Pensionäre um Hilfe gebeten, so Richter.
In Treptow-Köpenick eröffnete das Sozialamt eine Außenstelle in einer Sporthalle, wie eine Sprecherin mitteilte. „Das entspannt die anstrengende Situation für die Geflüchteten, aber auch für das Personal des Sozialamts.“ Gleichwohl werde dringend zusätzliches Personal benötigt. „Eine unverzügliche Personalentsendung aus den Senatsverwaltungen in die Bezirke würden helfen, die Aufgaben der Bezirke besser zu bewältigen.“
Senat nimmt Bezirken die Leute weg
Allerdings hat der Senat wiederum auch bei den Beschäftigten der Bezirksverwaltungen um Unterstützung für das neue Ankunftszentrum gebeten, was in den Bezirken nicht gut ankam: Eine „Frechheit“ nannte das ein Sozialstadtrat.
Die Senatsfinanzverwaltung wies darauf hin, dass die Bezirke zusätzliche Stellen ohne Wenn und Aber schaffen könnten und finanziert bekämen. Auch zusätzliche Sachkosten übernehme das Land.
Nach Einschätzung des sozialpolitischen Sprechers der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Tobias Bauschke, stehen die Sozialämter „vor dem Kollaps“. „Rot-Grün-Rot muss unverzüglich die Sozialämter mit dem Nötigsten ausstatten. Die Priorität muss hier die kurzfristige Aufstockung des Personals durch den Mitarbeiterpool des Landes sein.“
Ein Problem bei der Bewältigung der erwarteten mehreren Hundert Anträge von ukrainischen Geflüchteten pro Tag und Sozialamt ist auch die schlechte digitale Ausstattung. „Die Anträge müssen auf Papier ausgefüllt werden und werden dann von unseren Beschäftigten in den Computer getippt“, schildert Bezirksstadtrat Steuckardt in Tempelhof-Schöneberg. „Die Möglichkeit einer digitalen Antragstellung würde die Dinge vereinfachen und beschleunigen.“