SPD-Politiker Kevin Hönicke macht Depressionen öffentlich
Sitzungen aus der Notaufnahme und Suizidgedanken. Nach außen hielt Hönicke die Fassade aufrecht, doch in Inneren war sei Leben aus den Fugen.

Unter dem langen Eintrag auf seiner Facebook-Seite häufen sich die positiven Kommentare: Respekt vor der Offenheit, gute Wünsche für die Zukunft, du bist nicht allein, Kevin. Lichtenbergs Vize-Bürgermeister Kevin Hönicke, vor allem aber der Privatmensch Hönicke, wagt sich mit seinem Post ins Licht der Öffentlichkeit und macht eine schwere Depression im vergangenen Jahr sichtbar.
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„Es ist 03:36 Uhr Montagnacht oder Dienstagmorgen. Es ist (leider) nicht unüblich, dass ich zu dieser Zeit noch am Schreibtisch sitze. Mein Beruf bringt das mit sich. Aber dieses Mal ist es leider privat. So beginnt der Text, der schonungslos offenlegt, unter welchen Qualen Hönicke im letzten Jahr Bezirks-Politik in Berlin gemacht hat.
Schonungslos reinen Tisch machen
Der Grund für das Outing als seelisch Kranker: Politiker schürten mit der Erkrankung Gerüchte und dies beträfe mittlerweile auch sein Privatleben. Angst, dass die Offenheit Folgen für sein Leben als Politiker und als Lehrer in Berlin hat, habe er nicht, so Hönicke. Zum Schutz für seine Familie, die immer wieder mit Polizeischutz leben müsse, wolle er nun reinen Tisch machen, so Hönicke.
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Was dann folgt, macht in seinen Details betroffen und zeigt, wie allumfassend eine Depression ein Leben bestimmen kann. Sie habe ihn fast das Leben gekostet, so Kevin Hönicke.
Depression will er nicht wahrhaben
Schlafstörungen, Grübeln, Schmerzen lassen Hönicke fast verzweifeln. Dazu kommt das Gefühl, erwürgt zu werden. Die Ärzte, die der Politiker konsultiert, können nichts Körperliches finden. Die Depression will Hönicke nicht wahr haben, er funktioniert nach außen weiter.
„Ich war trotz allem Leid über 14 Stunden täglich arbeiten, habe mich um meine Kinder gekümmert, versucht ein „normales Leben“ zu simulieren, habe viele Menschen bzgl. meiner Gesundheit belogen und habe versucht zu überleben. Ich habe in Notaufnahmen gesessen, in der Hoffnung Hilfe zu finden, und nebenbei online in Fraktionssitzungen, Ausschüssen, Besprechungen, Verhandlungen oder Bezirksverordnetenverssammlungen verbracht.“
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Am Ende habe er eine halbe Stunde für einfachste Entscheidungen benötigt, habe keine Einkäufe mehr erledigen können, nicht mehr mit der U-Bahn fahren.
Kinder haben ihm das Leben gerettet
„Die Bezirksverordnetenversammlung im Februar, die letzte vor der Pause, habe ich unter höllischen psychischen und körperlichen Schmerzen ertragen und trotzdem habe ich auch noch da, das Schauspiel des handlungsfähigen Politikers aufrechterhalten. Niemand hat was gemerkt“, schreibt Hönicke.
Erst eine Interverntion von außen macht der akuten Qual ein Ende. „Eine Freundin, meine Kinder und mein Team haben mich gerettet“, meint Hönicke. Erst nach einer Behandlung in einer Tagesklinik ging es dem Politiker besser. „Ich danke der Oberbergklinik und der Tagesklinik vom Königin Elisabeth Herzberge Krankhaus, dass sie mich in sehr guter Zusammenarbeit geheilt haben. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass man von einer sehr schweren Depression geheilt ist. Aber dank der Hilfe, geht es mir heute besser als vor der Erkrankung der Depression. Ich bin glücklich und dankbar für mein Leben.“
Welche Tortur Hönicke durchgestanden hat, liest sich auch zwischen den Zeilen, wenn er den Menschen dankt, die während der Zeit für ihn da waren: auf die Kinder aufgepasst, in Notaufnahmen begleitet, einfach da gewesen, als nichts mehr ging. Bei seinen Kindern (3 und 4 Jahre) entschuldigt sich Hönicke. Sie hätten ihren Papa vor dem Freitod gerettet. „Ohne sie wäre ich nicht mehr auf dieser schönen Welt.“
Depressionen müssen sichtbar werden
Hönicke schäme sich, dass er so lange versucht habe, sich gegen die Anzeichen der Depression zu wehren. „Ich schäme mich dafür, dass ich während der Behandlung in der Tagesklinik, nachmittags und abends schon wieder Politik gespielt habe und auf den Bühnen dieser Stadt und in Veranstaltung präsent war.“ Sieben Monate habe seine Behandlung gedauert. Wie auch der Rapper Sido oder der Moderator Kurt Krömer, die ihre psychischen Erkrankungen öffentlich gemacht haben, will auch Hönicke ein Signal senden.
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„Ich hoffe, dass wir alle gemeinsam dafür kämpfen, dass die Erkrankung der Depression eine anerkannte Krankheit in der Gesellschaft ist“, so Hönicke. Der Kampf gegen die Krankheit ist langwierig.
Die Depression als Krankheit benennen, sich dazu bekennen und Tabus brechen hilft. „Wir müssen mehr werden und dazu stehen, weil die Scham vor der Krankheit Menschen in den Tod bringt und wir alle zu lange gewartet haben, bis wir uns medizinische Hilfe geholt oder endlich bekommen haben.“
HILFE-NUMMERN
Ihre Gedanken hören nicht auf zu kreisen? Sie befinden sich in einer scheinbar ausweglosen Situation und spielen mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen? Wenn Sie sich nicht im Familien- oder Freundeskreis Hilfe suchen können oder möchten – hier finden Sie anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote:
Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichen Sie rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen Sie Ihre Sorgen und Ängste teilen können. Auch ein Gespräch via Chat ist möglich. telefonseelsorge.de
Kinder- und Jugendtelefon: Das Angebot des Vereins „Nummer gegen Kummer“ richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis sonnabends von 14 bis 20 Uhr unter 11 6 111 oder 0800 – 111 0 333. Am Sonnabend nehmen die jungen Berater des Teams „Jugendliche beraten Jugendliche“ die Gespräche an. nummergegenkummer.de.
Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de
Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention: Eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland gibt es unter suizidprophylaxe.de