<br>Sylvia Falkner führt das Metzer Eck in vierter Generation.<br>

Sylvia Falkner führt das Metzer Eck in vierter Generation.
Foto: Volkmar Otto

Wo bitte bekommt man in Berlin noch ein Solei am Tresen? Und eine detaillierte Anleitung, es korrekt zu genießen, noch dazu? „Das Ei pellen, durchschneiden, Eigelb mit Senf zerquetschen, dann wieder in die weiße Höhle rinlöffeln und dann haps. Sylvia Falkner ist so etwas wie eine Solei-Expertin, auch Bratkartoffelexpertin ist sie und natürlich Fachfrau in Sachen Bier. Sylvia Falkner ist die Wirtin vom Metzer Eck in Prenzlauer Berg. Metzer Ecke Straßburger Straße, hundert Meter bis zum Kneipen-Bermudadreieck am Wasserturm. Auch ohne Corona ist die Art von Ausschankgeschäft, das sie in vierter Generation führt, vom Aussterben bedroht.

„Wir sind jetzt im vierten Monat“, sagt Sylvia Falkner und meint damit  keine Schwangerschaft, sondern den Lockdown, Rollos runter, die deutliche Ansage, wieder still zu halten. Das Metzer Eck ist eine Berliner Institution. Die Tapeten sind gelb, weil die Jahre hart dafür gearbeitet haben, der aufgeklebte Shabby-Chic einer Retrobar kann da einpacken. Berlingeschichte gibt es eben nicht im Baumarkt. An der Wand im getäfelten Gastraum hängt, neben einem Brief von Heinrich Zille ein Schild: „gepflegte Gastlichkeit“ steht darauf. Und sie meinen es hier wirklich so.

Zwei Kriege überstanden, doch dank Corona geschlossen

Zwei Kriege hat das Metzer Eck, das am 1. August 1913 als „Vahlensteins Destille“ öffnete, überlebt. Immer war der Zapfhahn aufgedreht. Nun ist der Laden insgesamt schon über ein halbes Jahr lang dicht.

„Dieses Abwägen, das Tage zählen, wann wir wohl wieder öffnen können, das ist ganz schlimm“, sagt Sylvia Falkner. Die 54-Jährige wohnt über der Kneipe, wie die Wirte vor ihr, und hält die Stellung. Die Bierzelle unter dem abgelatschten Linoleumfußboden ist weiter in Betrieb, jederzeit könnte sie einem der Stammgäste ein frisch Gezapftes anbieten.

Bud, Radeberger, Berliner. Nur die Flaschenbiere im Keller drohen langsam zu kippen. „Ein Fass Schwarzbier ist mir schon sauer geworden“, sagt Sylvia Falkner, als sie die Luke zum Keller hinter dem Tresen wieder zufallen lässt.

Es ist ja nicht so, dass sie keine Krisen gewohnt ist. Als 2007 ihr Mann Horst binnen eines halben Jahres an Krebs starb, da stellte sich schon einmal die Frage: Weiter machen oder nicht? Sylvia machte. Aber auf einer Schmerzens-Skala von eins bis zehn ist das hier schon eine neun, sagt sie.

„Im ersten Lockdown kam ich oft runter und musste heulen“, sagt die Wirtin vom Eck. Aber dann macht man es eben doch wie in dem albernen  Spruch auf der Postkarte … Krönchen richten. „Meine Mädels sind in Kurzarbeit“, sie selber quält sich durch Papierkram. Gelder beantragen, Rechnungen bezahlen.

Lieferessen rechnet sich nicht

Das weiße Bierzelt vor dem Laden etwa stand ganze drei Wochen, dann kam die erneute Vollbremsung, 1200 Euro für nix. Bis Ende März muss es nun wieder abgebaut sein. In den kommenden Tagen will Sylvia die Blumenkästen vor den Fenstern bepflanzen. Sie hat jetzt Zeit und will sie nicht haben. Ihrem Horst hat sie auf dem Sterbebett versprechen müssen, auf sich aufzupassen, immer mal wieder eine Pause einzulegen. Aber so war das nicht gemeint.

In zwei Jahren 110 – das Metzer Eck in Prenzlauer Berg. Chefin Sylvia führt den Laden seit 2007 allein.<br>
In zwei Jahren 110 – das Metzer Eck in Prenzlauer Berg. Chefin Sylvia führt den Laden seit 2007 allein.
Foto: Volkmar Otto 

In der Gegend halten sich einige Restaurants mit Lieferessen über Wasser, im Metzer Eck haben sie das schnell wieder gelassen. „Da schwitzt dit Schnitzel in der Verpackung, es rechnet sich nicht“, sagt Sylvia Falkner, und überhaupt kann man das wohlige Aufgehobensein in einer Kneipe vom Kaliber Metzer Eck nicht einfach so außer Haus verfrachten.

Es geht hier ums Zusammensein, wie ein Blick ins Reservierungsbuch zeigt. „Dienstags kommen meine Billardspieler, am Ofentisch trifft sich die Skatrunde.“ Hinter den runden Butzenscheiben mit den Spitzengardinen wurden und werden Freundschaften gepflegt, Umstürze geplant, Premieren gefeiert. Freitags gibt es im Winter Eisbein. Politiker, Schauspieler, Normalos, Touristen, vor Sylvis Tresen sind sie alle gleich.

Es geht ums Zusammensein im Metzer Eck und es geht ums Alleinsein. Uwe ist Stammgast bei Sylvi. Seit 15 Jahren kommt er, im Sommer täglich, im Winter zwei-, dreimal die Woche. Meist nimmt er den Stehtisch an der Tür. „Von den anderen, die hier so rumsaßen ist ja kaum einer mehr übrig. Ich muss mich nicht unterhalten“, sagt Uwe. Das Unaufgeregte, nicht Hippe gefällt ihm, aber das ändere sich ja auch gerade, also wenn denn geöffnet wäre.

Stammgast Uwe sehnt sich nach Menschen. Reden muss er mit ihnen aber nicht unbedingt.<br>
Stammgast Uwe sehnt sich nach Menschen. Reden muss er mit ihnen aber nicht unbedingt.
Foto: Volkmar Otto

Im Metzer Eck, in Rufweite zum Wasserturm, sprechen die Touristen, die aus ihrem Reiseführer erfahren haben, dass es hier noch das echte alte Berlin zu erleben gibt, Spanisch und Englisch. Sylvia Falkner hat Speisekarten machen lassen. Da steht dann statt Hackepeter-Stulle „bread with mince“. Oder statt Bulette „meat ball“.

„Wir brauchen die Touristen“, sagt Sylvia Falkner, die Stammgäste würden nicht mehr so viel trinken wie früher. Mit der neuen Berliner Mischung aus Alt und Neu ist sie bisher ganz gut gefahren. „Da weitermachen, wo wir im Sommer 2019 aufgehört haben, das wäre was.“

Und auch Uwe vermisst nicht in erster Linie sein Kristallweizen, sondern die Menschen. „Ich bin Misanthrop“, sagt er. Aber dem Summen der Gespräche zuhören, das Wegtauchen in den warmen Sud der Geselligkeit, das fehlt schon. „Ich bin gespannt, ob die Menschen wieder rausfinden aus ihrer Isolation“, sagt er. Er weiß, Sylvi und ihre Mädels würden dabei nur zu gern behilflich sein.

Die austauschbaren Restaurants und Cocktailbars, wie sie in allen Amüsiermeilen der Welt zu finden sind, machen rund um den Wasserturm auf und zu. Das Metzer Eck hat derweil die Feinde der Berliner Eckkneipe, die Spätis, das Rauchverbot, den Trinkerschwund und die Gentrifizierung überlebt.

„Wenn die versprochenen Gelder kommen, dann kommen wir hoffentlich durch“, sagt die Wirtin. Und das ist ja schon viel. Komm, Sylvi, mach noch mal ’ne Runde. www.metzer-eck.de