Der klare Kommentar

Sinnlos und nervig! Berliner, lasst endlich eure Eltern-Taxis stehen

Nirgendwo bringen so viele Eltern ihren Nachwuchs mit dem Auto zur Schule wie in der Hauptstadt. Das ist unnötig, nervt – und nimmt den Kindern ein Stückchen Selbstständigkeit.

Teilen
Ein Banner vor einer Schule bei Bonn: Hier werden Familien aufgefordert, die Kinder zu Fuß zur Schule zu bringen – Elterntaxis sollen stehen bleiben.
Ein Banner vor einer Schule bei Bonn: Hier werden Familien aufgefordert, die Kinder zu Fuß zur Schule zu bringen – Elterntaxis sollen stehen bleiben.Marc John/imago

Am Morgen drehe ich gern eine Runde durch meinen Kiez. Etwas Bewegung schadet ja nicht, das bringt Körper und Geist in Schwung. Dabei komme ich auch an einer Schule vorbei – und staune immer wieder über den morgendlichen Stau. In der kleinen Seitenstraße stehen sie, Stoßstange an Stoßstange: Die Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto bis direkt vor die Eingangstür der Schule chauffieren. Manchmal staut sich die Blech-Kette bis zur nächsten Kreuzung.

Elterntaxis in Berlin: Nirgendwo chauffieren so viele ihre Kinder zur Schule

Nun bestätigt der ADAC, was wir lange vermutet haben: In Berlin chauffieren überdurchschnittlich viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule. In keinem Bundesland sei der Anteil so hoch, hieß es. Eine Fahrt mit dem Auto ist in Berlin in 31 Prozent Teil des Schulwegs, heißt es – bundesweit beträgt der Anteil 22 Prozent. Selbst im Flächenland Brandenburg, wo die Anbindung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln und die Entfernung zur Schule größer sein dürften, ist er mit 25 Prozent niedriger als in Berlin.

Die Ergebnisse der Untersuchung lassen mich grübeln – denn ich kann nicht nachvollziehen, warum dieser Service für den Nachwuchs erforderlich ist. Ist Berlin ein zu gefährliches Pflaster? Das könnte ich zumindest für das beschauliche Karlshorst nicht behaupten. Stattdessen argumentieren viele damit, die schnelle Fahrt mit dem Auto zur Schule lasse sich besser in den Alltag integrieren. Das leuchtet mir aber nicht ein: Ist es nicht einfacher, wenn Kinder von Anfang an lernen, die wichtigen Wege des Lebens selbstständig zu nehmen?

Auch wenn es viele Eltern kaum glauben können: Schülerinnen und Schüler sind auch allein und selbstständig in der Lage, den Schulweg zu meistern, wenn man sie nur lässt.
Auch wenn es viele Eltern kaum glauben können: Schülerinnen und Schüler sind auch allein und selbstständig in der Lage, den Schulweg zu meistern, wenn man sie nur lässt.Michael Gstettenbauer/imago

Ich wuchs in einem kleinen Dorf in Sachsen auf, musste meinen Alltag seit der ersten Klasse mit Öffis bestreiten. Schon in der Grundschule ging es mit dem Bus in die nächstgelegene Stadt – und dann, auf der weiterführenden Schule, zuckelte ich morgens und nachmittags mindestens eine Stunde über die Dörfer, ob bei Hitze oder im Schneesturm. In den Ferien vor dem Schulwechsel haben wir das sogar geübt – ich fuhr mit dem Bus, mein Vater hinterher. Eine kleine Aktion, nach der ich das System allerdings begriffen hatte. Unterstützung war dann nicht mehr nötig.

Gegen das Elterntaxi: Wer den Schulweg selbst meistert, wird selbstständig

Der Effekt: Ich lernte früh, mich zu organisieren, denn die Busse fuhren auf dem Land eben nur maximal einmal pro Stunde – es ist nur verständlich, dass man da früh selbstständig wird. Von einem Öffi-Verkehr wie in Berlin konnte ich nur träumen. Und wenn ich mal zu langsam war und bummelte, bekam ich es zu spüren: Dann musste ich eben auch mal eine Stunde an der Haltestelle warten. Hat das genervt? Sicherlich. Hat es mir nachhaltig geschadet? Nein, ganz sicher nicht.

Dass den Kindern heute dieser Effekt – das Gewinnen von Selbstständigkeit – genommen wird, finde ich ziemlich schade. Vor allem die ältere Generation schimpft gern, dass die „Jugend von heute“ angeblich nichts mehr beherrscht. Nur: Wie sollen die jungen Leute denn Selbstständigkeit lernen, wenn man ihnen nicht die Gelegenheit gibt? Die eigene Organisation des Schulwegs wäre dafür ein wichtiger Schritt. Außerdem bekommt die Kids dann mehr Bewegung, die frische Luft macht munter und bereit für die erste Stunde. Und auch dem Rest der Welt würde es helfen: Ein paar weniger Autos könnten unsere Straßen sicher vertragen. Und die tägliche Blechlawine vor der Schultür muss nun auch wirklich nicht sein.